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Gefangene Herero während des Herero-Aufstandes in der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (Namibia) 1904.

© Keystone

Die Deutsche und die Herero: Politik mit Geschichte

Erdogan hat ihn offenbar überzeugt: Norbert Lammert will noch eine Bundestags-Völkermord-Resolution. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Dass ein Parlamentspräsident glaubt, für alles müsse das Parlament eine Resolution verabschieden, ist eine nachvollziehbare déformation professionnelle. Wer einen Hammer hat, sieht überall Nägel, und deshalb möchte Norbert Lammert einen weiteren Nagel ins Geschichtsbrett hämmern. Dass es zum Mord von zehntausenden Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika „nicht eine ähnlich unmissverständliche Erklärung auf deutscher Seite gibt, finde ich bedauerlich und im Kontext der jüngeren Auseinandersetzungen auch ein bisschen peinlich“, sagt Lammert.

Weiteres Lavieren

Eben erst eine Armenien-Resolution, in der ausdrücklich auf die deutsche Mitverantwortung hingewiesen wurde, jetzt eine zu den Herero: Es wirkt, als wolle Deutschland seine übrig gebliebene historische Schuld in einem Rutsch abarbeiten. Ein solcher Eindruck würde bei den Nachkommen der jeweiligen Opfer kaum die Ernsthaftigkeit des Anliegens untermauern. Im Gegenteil, es relativiert wieder einmal die deutsche Geschichte. Oder soll ein Herero-Völkermord-Leugner wie Holocaust-Leugner Horst Mahler für fünf Jahre ins Gefängnis?

Das Parlament ist kein Historikertag, und wie falsch es war, mit Geschichte Politik machen zu wollen und die Türken im Bundestag vorzuführen, zeigte sich schnell in einem peinlichen Zurückrudern: Es gehe bei der Armenien-Resolution ja ausdrücklich um die deutsche Verantwortung. Warum wurde die Türkei dann überhaupt erwähnt?

Im Kontext der Armenien-Resolution des Bundestags wirken die Lammert’schen Äußerungen wie ein weiteres Lavieren, wie eine Versöhnungsbotschaft an den türkischen Präsidenten. Recep Tayyip Erdogan hatte nach der Armenien-Resolution gesagt, die Deutschen seien das letzte Volk, das über den „sogenannten Völkermord“ der Türkei abstimmen dürfe, sie sollten zunächst Rechenschaft über den Holocaust und die Ermordung der Herero ablegen. Lammert hat offenbar nichts gegen den Eindruck, dass er Erdogans Einwand für berechtigt hält.

Er selbst redet von "Völkermord"

Das ist er jedoch nicht. Anders als die türkische Regierung bei den Armeniern lehnt die Bundesregierung die deutsche Verantwortung für die Morde an den Herero nicht ab. Im Gegenteil, der Präsident des deutschen Parlaments, Norbert Lammert, spricht ausdrücklich von einem „Völkermord“. Auch die Deutschen wollten lange lieber nichts von ihrer Herero-Geschichte wissen. Aber aus politisch opportunen Gründen jetzt so zu tun, als seien die Deutschen im Umgang mit ihrer Vergangenheit nicht weiter als die Türken, ist falsch. Mit der Armenien-Resolution hat der Bundestag als Großhistoriker viel Schaden angerichtet. Das wird nicht besser, wenn er noch mehr Politik mit Geschichte macht.

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