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Politik: Die dritte Herausforderung

Von Clemens Wergin

Am selben Tag, an dem der Inhalt von Mahmud Ahmadinedschads Brief an George W. Bush bekannt wurde, wählte die UN-Generalversammlung in New York den neuen Menschenrechtsrat. Ihm werden mit China, Russland, Saudi-Arabien und Kuba zwar immer noch diktatorische und autoritäre Systeme angehören. Aber letztlich ist die Reform des Menschenrechtsrates ein Triumph jener universellen Werte, die im Abendland einst entstanden sind und auf denen die Vereinten Nationen aufbauen.

Irans Präsident sieht das anders. In seinem Brief an Bush wendet er sich nicht nur gegen internationale Institutionen, sondern schreibt auch: „Liberalismus und westliche Demokratie sind nicht in der Lage gewesen, die Ideale der Menschheit zu verwirklichen. Die Einsichtigen können schon die Töne der Zerstörung und des Falls der Ideologie und des Denkens des liberalen demokratischen Regimes vernehmen.“ Deshalb legt er Bush nahe, sich der theokratischen Bewegung in der Welt anzuschließen. Damit ist der Islamismus gemeint, die wichtigste totalitäre Herausforderung unserer Zeit.

Ahmadinedschads Denken ist ein kruder Mix aus Attac-inspirierter Globalisierungskritik und muslimischem Sozialismus. Für alles, was in dieser Welt falsch läuft, macht er den Westen, an erster Stelle die USA, verantwortlich. Wer das allein als Hirngespinste eines apokalyptischen Fanatikers abtut, macht es sich zu einfach. Schließlich gehört Ahmadinedschads Weltverständnis in denselben geistigen Kosmos wie die Theorien bin Ladens und anderer islamistischer Weltbeglücker und Möchtegern-Eroberer. Und deren Thesen finden unter Muslimen im arabisch-iranischen Raum mehr Widerhall, als uns lieb sein kann.

So ist Ahmadinedschads Brief mehr an die muslimische Welt gerichtet als an Bush. Denn das ist ja die Realität der Atomverhandlungen in den letzten Monaten: Während die internationale Gemeinschaft immer weiter gehende Angebote an Iran vorgelegt hat und gerade wieder an einem Paket schnürt, das Teheran den zeitweisen Verzicht auf die Urananreicherung schmackhaft machen soll, predigt Ahmadinedschad den Kampf der Kulturen – einen Konflikt mit dem Westen, in dem Iran wegen des Atomprogramms die Führungsrolle in der muslimischen Welt zufalle und den die Muslime, natürlich, gewinnen werden.

Uns mag dies aufgrund der enormen technologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Überlegenheit des Westens absurd vorkommen. Aber Ahmadinedschads Perspektive ist eine andere. Er kommt aus der revolutionären Volksmiliz der Bassidschi, die 1979 von Chomeini gegründet wurde. Im Krieg zwischen Irak und Iran war es vor allem ihr zu verdanken, dass Iran die militärische Überlegenheit Iraks wettmachen konnte. Etwa 100 000 Bassidschi, meist noch Kinder, sind in diesem Krieg gefallen. Viele als Kanonenfutter oder als Minenräumer, die ihre Körper als Detektoren einsetzten. Ahmadinedschad hat damals erlebt, wie tausende Iraner ohne Zögern in den Tod liefen. Und darauf gründet sein Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Westen. Der sei zwar technologisch fortschrittlicher, habe aber seine Werte und seinen Kampfesmut verloren. Ein Sprecher Al Qaidas hat das Bild vom dekadenten Westen auf die Formel gebracht: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod.“ Ein Widerhall dessen findet sich in den großspurigen Behauptungen iranischer Offizieller, man habe 40 000 „Märtyrer“ rekrutiert, die bereit seien, gegen den Westen loszuschlagen.

Die Menschenverachtung der Ahmadinedschads kennt keine Grenzen – gleichzeitig ist sie eines der wirksamsten Mittel der iranischen Abschreckung. Denn tatsächlich lässt die Vorstellung iranischer Todesschwadronen, die überall in der Welt zuschlagen können, niemanden kalt. Es wäre aber falsch, aus Angst vor Vergeltung den Druck von Iran zu nehmen. Ahmadinedschad zwingt uns einen Krieg der Nerven und der Ideen auf. Anders als Francis Fukuyama einst prophezeite, ist die Geschichte doch nicht zu Ende. Um den Sieg über die dritte totalitäre Herausforderung in 100 Jahren davonzutragen, muss der Westen sich noch einmal anstrengen.

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