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Auch beim Gruppenfoto vor der Sitzung scheint zwischen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (links), Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Donald Tusk schon Uneinigkeit zu herrschen.

© dpa

Flüchtlingsgipfel in Brüssel: Die EU streitet

Beim Gipfel zur Flüchtlingskrise auf der Balkanroute zeigt sich die Europäische Union zerstritten. Sitzungsteilnehmer in Brüssel berichten von „schweren gegenseitigen Vorwürfen“.

So groß ist die menschliche wie politische Notlage in Griechenland, den Balkanstaaten, Österreich und Deutschland, dass die Europäische Union zu neuen Veranstaltungsformaten greift. Eineinhalb Wochen nach dem jüngsten EU-Gipfel trafen sich am Sonntagabend die Staats- und Regierungschefs dieser Länder in kleinerer Runde erneut, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden – nicht im Ratsgebäude, sondern auf Einladung des Brüsseler Kommissionschefs Jean-Claude Juncker im Gebäude gegenüber. „Außergewöhnliche Zeiten“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu bei ihrer Ankunft in Brüssel, „erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.“

Allerdings berichteten Sitzungsbeobachter von „schweren gegenseitigen Vorwürfen“. Wenn überhaupt werde es eine gemeinsame Erklärung nur in abgeschwächter Form geben, so eine Diplomatin. Jean Asselborn, der als Vertreter des Luxemburger EU-Ratsvorsitzes ebenfalls an dem Treffen teilnahm, beklagte ein Manko an Solidarität zwischen den Balkanländern.

In Brüssel trafen sich zehn EU-Länder und drei Nicht-EU-Länder

„Wir verpflichten uns, davon Abstand zu nehmen, Flüchtlinge ohne Einverständnis eines anderen Staates zu dessen Grenze zu bringen.“ So lautete das andere zentrale Versprechen im Entwurf der Gipfelerklärung, das die zehn EU- und drei Nicht-EU-Länder abgeben wollten. Man müsse aufhören, so Österreichs Kanzler Faymann, „Menschen zum Nachbarn zu schieben, dass man die Probleme nicht selber hat, sondern der Nachbar“. Sloweniens Premier Miro Cerar machte Kroatien schwere Vorwürfe, dessen Polizei Flüchtlinge „einfach in den Grenzfluss geschoben“ hätte. Zumindest soll der Informationsaustausch soll besser werden, damit sich die Behörden besser darauf einstellen können, mit wie vielen Flüchtlingen sie zu rechnen haben. Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov bemängelte, dass es mit Griechenland „gar keine Kooperation“ gebe. Angesichts dessen wollten sich die Regierungschefs verpflichten, Kontaktstellen zu benennen.

António Guterres, Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks, bot den Europäern in der Sitzung eine massive Ausweitung der Hilfe an. UNHCR-Sprecher Adrian Edwards sagte dem Tagesspiegel: „Wir haben allen Staaten entlang der Balkanroute unsere Hilfe angeboten, sie müssen sie aber auch akzeptieren.“ Das ist bisher das Problem. Eine internationale beziehungsweise europäische Lösung würde bedeuten, dass die Transitstaaten der Flüchtlinge auf dem Weg vorrangig nach Deutschland selbst mehr Schutzsuchende aufnehmen müssten – zumindest bis in einem geordneten Verfahren über ihre Verteilung oder Abschiebung entschieden ist. Dass Juncker auf Anregung Merkels mit dem Treffen die „Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen in ein Nachbarland“ beenden wollte, stieß daher schon im Vorfeld auf Widerstand. Athens zuständiger Minister Giannis Mousalas lehnte zusätzliche 50 000 Aufnahmeplätze ab, weil „wir aus unserem Land kein riesiges Flüchtlingslager machen können“.

Auch Junckers 16-Punkte-Plan kam nicht so gut an, wonach der EU-Katastrophenfall ausgelöst, ein Korps von 400 Frontex-Grenzschützern ins Land gelassen, die eigene Aufnahmekapazität ausgebaut und Hilfe von den UN wie von Europas Förderbanken erbeten würde. Kroatiens Premier Zoran Milanovic bezweifelte, „ob der nette Sonntagsplausch etwas bringt, da das Problem in der Türkei und Griechenland gelöst werden muss“. An drastischen Warnungen vor einem Scheitern des Gipfels mangelte es nicht – auch wenn die Lösungsansätze sehr verschieden waren. „Wenn wir nicht in den nächsten Tagen und Wochen konkrete Gegenmaßnahmen auf die Beine stellen“, sagte der Slowene Cerar, „erleben wir den Anfang vom Ende der EU.“

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