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Politik: Die Freiheit als Drohung

Von Christoph von Marschall

Kann die Freiheit eine Bedrohung sein? Es ist doch kein schlechtes Ziel, die Tyrannei in der Welt zu beenden. Und die Einsicht, dass eine Nation auf Dauer keine Sicherheit und Freiheit genießen kann, wenn andere Länder in Not und Bedrückung leben, klingt fast wie ein Ausweis von Multilateralismus. Es findet sich wohl kein Satz in Präsident Bushs Inaugurationsrede, den anständige Menschen nicht unterschreiben könnten. Hätte ein Vaclav Havel, Günter Grass oder eine Jutta Limbach sie gehalten, wäre großer Beifall sicher gewesen.

Das Problem ist nicht, was Bush gesagt hat, sondern dass er es gesagt hat. Wenn er 27 Mal das Wort freedom in den Mund nimmt, klingt das für viele europäische Ohren entweder naiv – oder bedrohlich. Rede und Redner haben eine Vorgeschichte, zu der gehört der Irakkrieg. Da hilft es wenig, dass Bush jetzt beteuert, er wolle niemandem Amerikas Vorstellung von Freiheit aufzwingen, sondern anderen Völkern helfen, sich selbst von ihren Unterdrückern zu befreien und nach ihrer Fasson glücklich zu werden. Dass er betont, dies sei „nicht in erster Linie die Aufgabe von Waffen“. Und verspricht, auf die Verbündeten zu hören. Die meisten Europäer trauen Bush nicht über den Weg.

Es ist bezeichnend, dass dieses Misstrauen jetzt aufbricht – in einem Moment, in dem die deutsche wie die US-Regierung es zum Ziel erklären, die zweite Amtszeit für einen Neuanfang zu nutzen, den Irakstreit niedrig zu hängen und gemeinsame Interessen zu betonen: vom Balkan, Nahost und Afghanistan über die Weltwirtschaft bis zur UN-Reform. Eine Enthüllungsstory über angebliche Geheimdienstoperationen in Iran genügt, um die offizielle Politik zu konterkarieren. So tief sind die Gräben.

Doch das heißt auch: Die Rede und ihre Rezeption sagen nicht nur etwas über Bush und sein Amerika aus, sondern auch über uns und unser Bild von den USA. Eine Inaugurationsrede ist keine Regierungserklärung, schon gar nicht über die konkrete Außenpolitik; sie soll die Stimmung im Volk treffen und eine Atmosphäre für die neue Amtszeit vorgeben. Diese unpräzise Funktion gibt Raum für Interpretation und lässt die Unterschiede im Fühlen und Denken auf beiden Seiten des Atlantiks umso krasser hervortreten. Bush hat Irak, Afghanistan, Iran nicht erwähnt? Hier weckt das den Argwohn, er wolle offenkundige Misserfolge übergehen, und man empört sich über den Missbrauch des großen Wortes Freiheit angesichts von Folterskandalen und Anschlägen. In Amerika dagegen denkt eine Mehrheit automatisch an die ersten freien Wahlen in Palästina, Afghanistan und demnächst im Irak, da muss Bush die Länder gar nicht nennen. Und sieht in der Umfrage, dass 80 Prozent der Iraker wählen gehen wollen, selbst unter Lebensgefahr, eine Bestätigung für sein Pathos – auch wenn die Befriedung länger dauert und mehr Opfer kostet als gedacht.

Die Erfahrung lehrt: Bush meint, was er sagt. Und handelt danach. Warum nehmen wir ihn nicht beim Wort, nicht nur da, wo es bedrohlich klingt. Er will sich gegen Unterdrücker stellen? Da kann er bei Verbündeten wie Pakistan und Saudi -Arabien anfangen. Er sucht den Rat der Freunde und die Zusammenarbeit? Die Ukraine ist ein gemeinsamer Erfolg, auch Iran muss kein Streitfall sein, sondern taugt zur Kooperation: Die Europäer steuern ihre diplomatischen Kontakte bei, Amerika den Druck, ohne den die Mullahs nicht nachgeben. Wenn Bush uns abermals enttäuscht – umso schlimmer. Wir haben die Freiheit, es noch einmal zu versuchen. Es nicht zu tun, wäre eine Gefahr.

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