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Politik: „Die Gefahr eines Bürgerkrieges ist groß“

Ex-Sonderermittler Mehlis über den jüngsten Mord in Beirut, das Hariri-Tribunal und die Aufgabe der UN

Herr Mehlis, wer ist für das Attentat auf den libanesischen Industrieminister Gemayel verantwortlich?

Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Mord von den Kreisen begangen wurde, die das Hariri-Tribunal verhindern, die demokratisch gewählte Regierung stürzen und so Chaos verbreiten wollen.

Das Tribunal soll den Mord an dem Ex-Ministerpräsidenten Rafik Hariri aufklären. Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?

Bis zur Realisierung des Tribunals wird es noch ein langer steiniger Weg sein. Nachdem der UN-Sicherheitsrat das Tribunal beschlossen hat, muss es im Libanon parlamentarisch umgesetzt werden, es müssen libanesische Richter und Staatsanwälte bestimmt werden. Eine derzeit kaum lösbare Aufgabe, obwohl ich den Mut der Regierung Siniora bewundere.

Weshalb beharrte die libanesische Regierung auf dem Tribunal, bevor die Schuldigen ausgemacht wurden?

Die Idee ist sicher, das Tribunal installiert zu haben. Es existiert dann eben als solches und kann auch bei anderen Mehrheitsverhältnissen im Libanon juristisch nicht mehr beseitigt werden. Ob und wer dann vor dieses Gericht gestellt wird, ist zunächst einmal zweitrangig.

Befürchtet die libanesische Regierung, dass sie das UN-Tribunal nicht mehr durchsetzen könnte, wenn erst einmal der syrische Präsident Assad als Drahtzieher ausgemacht werden könnte?

Ich denke, diese Befürchtung besteht im Libanon.

Teilen Sie sie?

Ja, natürlich. Ohnehin soll der stellvertretende syrische Außenminister gestern vorsorglich erklärt haben, Syrien werde keine eigenen Staatsbürger an das Tribunal überstellen.

Ihre Ermittlungen kamen zu dem Schluss, dass Angehörige des syrischen Geheimdienstes an dem Anschlag auf Hariri beteiligt waren. Als Sie vor einem Jahr dem UN-Sicherheitsrat Ihre Ergebnisse vortrugen, nahm der internationale Druck auf Syrien erheblich zu. Der Krieg im Libanon scheint Assad genützt zu haben.

Vor einem Jahr stand das syrische Regime vor dem Zusammenbruch. Unter anderem der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah hat jedoch zu einer deutlichen Stabilisierung geführt. Letztlich ist Syrien der Gewinner eines Krieges, den es selbst nicht geführt hat.

Wie groß ist die Gefahr, dass der Libanon erneut in einem Bürgerkrieg versinkt?

Die Gefahr einer derartigen Tragödie ist sehr groß. Die verschiedenen Gruppen sind gut bewaffnet. Dies ist eben auch das Ziel derjenigen, die von innen und außen das Land zu destabilisieren versuchen und die noch junge Demokratie beseitigen wollen.

Wie sieht Libanons Zukunft aus, wenn es den prosyrischen Kreisen gelingt, die derzeitige Regierung zu stürzen?

Mittelfristig würde das Land wieder zu einem syrischen Protektorat werden, wie vor dem März vergangenen Jahres.

Was könnte die Bundesregierung tun, um die Lage im Libanon zu stabilisieren?

Politische und technische Hilfe leisten. Letzteres schnell. Wie die Ermordung von Gemayel zeigt, fehlen im Libanon Erfahrungen im polizeilichen Personenschutz. Politisch muss Deutschland jedermann verdeutlichen, dass allein die jetzige Regierung frei gewählt wurde und demokratisch legitimiert ist. Auch die UN-Forderung an Syrien, nach mehr als 40 Jahren endlich einmal diplomatische Beziehungen zum Libanon aufzunehmen und die Grenze zu markieren, verdient Unterstützung.

Was müssten die UN tun?

Die UN tun sehr, sehr viel für den Libanon. Es gibt zahlreiche Sonderbeauftragte und UN-Behörden im und für den Libanon. Insbesondere der Sicherheitsrat hat sich auch mehrfach und eindeutig für das Land eingesetzt, unter anderem, indem er während meiner Amtszeit Syrien unter Sanktionsdrohungen zur Zusammenarbeit mit der Ermittlungskommission verpflichtete. Ich denke, eine noch weitere „UNOisierung“ tut dem Land nicht gut.

Detlev Mehlis (58), Berliner Jurist, arbeitete als UN-Sonderermittler zwischen Mai 2005 und Januar 2006 an der Aufklärung des Anschlags auf den libanesischen Premier Rafik Hariri.

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