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Kür ohne Kampf.

© dpa

Politik: Die grüne Seele des Bundestags

Fraktion nominiert scheidende Parteichefin Roth als Parlamentsvizepräsidentin.

Berlin - Mehr als elf Jahre lang war Claudia Roth Vorsitzende der Grünen – nun wird sie in das Amt der Bundestagsvizepräsidentin wechseln. Die Grünen-Bundestagfraktion nominierte die 58-Jährige am Dienstag für diesen Posten. Die ehemalige Fraktionschefin Renate Künast zog in der Sitzung ihre Kandidatur zurück. Der neue Fraktionschef Anton Hofreiter nannte Roth eine „hervorragende Kandidatin“ für diese Tätigkeit. Er lobte sie als „moralisch integere Figur, die sich für Flüchtlinge eingesetzt hat und für Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen“ und würdigte ihren „Kampf gegen Rechtsextremismus“. Roth erhielt in der geheimen Wahl 54 von 63 Stimmen, das entspricht 86 Prozent. Die bisherige Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke wurde als eine von vier Fraktionsgeschäftsführerinnen gewählt.

Bundestagsvizepräsidentin für die Grünen war bislang Katrin Göring-Eckardt, die in der vergangenen Woche zur Fraktionschefin gewählt wurde. Roth galt als Favoritin für ihre Nachfolge, auch weil man ihren langjährigen Einsatz für die Partei würdigen wollte. Nach der Bundestagswahl hatte Roth erklärt, dass sie nicht erneut für die Parteiführung kandidieren werde. Es war auch ihre Idee, dass sich die gesamten Führungsgremien nach der herben Wahlniederlage neu wählen lassen sollten.

In der Fraktionssitzung am Dienstag kündigte Roth nach Angaben von Teilnehmern an, sie wolle das Amt überparteilich ausfüllen. „Aber das schließt nicht aus, dem Amt ein Gesicht zu geben und besondere Verantwortung zu übernehmen“, schrieb Roth zuvor in ihrer Bewerbung, die sie an die Abgeordneten verschickt hatte. Sie wolle sich als Bundestagsvizepräsidentin dafür einsetzen, dass das Parlament weniger über die Köpfe der Bürger hinweg debattiere, sondern die Wege der Entscheidungsfindung nachvollziehbarer, offener und transparenter gestaltet würden. Eines der „wichtigsten Anliegen“ sei es, die „Distanz zwischen Politik und Gesellschaft“ zu verringern. Als Themen nannte Roth unter anderem den Datenschutz „angesichts massenhafter Datensammelei befreundeter Geheimdienste“ sowie den Einsatz für Menschenrechte.

Seit 2001 war Roth mit zweijähriger Unterbrechung Grünen-Chefin. Wenn es um ihre Anliegen ging, setzte sie sich auch immer stark persönlich ein: Zuletzt, als sie im Juni in Istanbul miterleben musste, wie die türkische Polizei unter Tränengaseinsatz ein Zeltlager mit Protestierern im Gezi-Park räumen ließ. Oder, als sie im März dieses Jahres in ein syrisches Flüchtlingslager an der türkischen Grenze reiste, um sich vor Ort über die politische und humanitäre Situation der Flüchtlinge zu informieren.

Im Dezember 2002 musste Roth als Parteichefin ebenso wie ihr Co-Vorsitzender Fritz Kuhn zurücktreten. Die Partei beharrte damals auf der Trennung von Amt und Mandat, Roth und Kuhn waren aber im Herbst als Abgeordnete in den Bundestag eingezogen. Ab März 2003 war Roth Beauftragte der rot-grünen Bundesregierung für Menschenrechte im Auswärtigen Amt – ein Posten, den sie zwei Jahre später abgab, als sie sich erneut zur Parteichefin wählen ließ. „Parteivorsitzende der Grünen, das ist das Höchste, was es gibt“, sagte sie damals.

Die bayerische Schwäbin, die sich mit ihrer emotionalen Art den Ruf als „Seele der Partei“ erworben hat, bekam im vergangenen Herbst einen Dämpfer von der Basis. Sie hatte sich damals dafür eingesetzt, dass die Grünen nicht nur mit Jürgen Trittin in die Bundestagswahl ziehen, sondern auch mit einer Frau an der Spitze. In der Urwahl landete sie nicht nur deutlich hinter Göring-Eckardt, sondern auch hinter Künast. Zwei Tage lang überlegte sie damals, ob sie als Parteichefin hinwerfen solle. Cordula Eubel

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