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Politik: Die heikle Mission des Sagib Ullah Khan Chamkani

Pakistan beherbergt weltweit die meisten Flüchtlinge. Seine Politiker wollen jetzt tausende Afghanen zur Rückkehr bewegen – doch die fürchten Krieg und Armut

Sagib Ullah Khan Chamkani geht auf die neue Gesundheitsstation zu und lächelt, obwohl er weiß, dass es wieder Streit geben wird. Der Abgeordnete des Provinzparlaments von Khyber Pakhtunkhwa ist ein wichtiger Mann, er darf bei dem Festakt zur Einweihung der Station im pakistanischen Dorf Chamkani, rund 60 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt, nicht fehlen. Die Gesundheitsstation soll das Leben der Flüchtlingsfamilien aus Afghanistan verbessern. Von 25 000 Einwohnern in Chamkani kommen 10 000 aus Afghanistan. Viele der Flüchtlinge sind arm, sie haben in 30 Jahren Krieg alles verloren. Die afghanischen Männer verdingen sich als Tagelöhner, andere verkaufen als Straßenhändler Obst und Gemüse. Viele Flüchtlinge leben auch nach Jahren noch in Lagern. Dennoch geht es ihnen hier besser als in der Heimat. Rund 1,9 Millionen Afghanen leben nach dem am Montag veröffentlichten Jahresbericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Pakistan. Kein Land auf der Welt beherbergt mehr Flüchtlinge.

Vor dem länglichen, eingeschossigen, einfach gemauerten Gebäude, das eine hohe Lehmmauer umgibt, parken gepanzerte Jeeps, japanische Geländewagen und Pick-Ups der Polizei. Gäste aus Islamabad und der Provinzhauptstadt Peschawar sind gekommen, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Politiker wie Sagib Ullah Khan Chamkani. Er wurde hier als Sohn eines einflussreichen, wohlhabenden Clans geboren. Die Ältesten begrüßen ihn respektvoll, als er den Innenhof des Zentrums betritt.

Allein in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa leben 1,4 Millionen Afghanen. Die Region hieß bis vor zwei Jahren schlicht Nord-West-Grenzprovinz, weil sie im Norden an Afghanistan und im Westen an die halbautonomen Stammesgebiete stößt. Die Taliban sind stark in der Region. Die pakistanische Regierung schickte vor zwei Jahren die Armee, um die Radikalen zu vertreiben. Seitdem greifen Selbstmordattentäter immer wieder Kasernen und Polizeistationen an. Die afghanischen Flüchtlinge fühlen sich hier dennoch sicherer als in Afghanistan.

Sagib Ullah Khan Chamkani und andere Politiker der Awami National Party, eine der wenigen säkularen Parteien Pakistans, wollen Tausende von ihnen zur freiwilligen Rückkehr überzeugen. Einfach wegjagen kann Pakistan sie nicht. Denn auf Druck der Vereinten Nationen und der wichtigsten Geberländer gewährte das Land den ungeliebten Gästen bis zum März 2013 Asyl.

Der Abgeordnete geht lächelnd auf eine Gruppe afghanischer Männer zu und beginnt ein Gespräch. Vor ihm steht, schwer auf einen Stock gestützt, ein alter Mann. Der Graubärtige schüttelt den Kopf, als er den Politiker über die Rückkehr der Flüchtlinge nach Afghanistan reden hört. Die harte Arbeit, das karge Leben haben seinen Rücken gebeugt – aber nicht seinen Willen. „Nein“, flüstert er, dann wird er lauter: „Nein“. Seit fast 30 Jahren leben er und seine Familie in Pakistan. Zurück nach Afghanistan wolle er auf keinen Fall. Seine Stimme überschlägt sich beim Sprechen. Andere Männer beruhigen ihn. Sagib Ullah Khan Chamkani lächelt gegen den Zwist an. Sein Lächeln weicht auch nicht, als er über den Starrsinn der Alten schimpft. „Ihr könnt nicht für immer bleiben“, wiederholt er und seufzt. Als süßer Chai-Tee und klebriges Gebäck serviert werden, endet die Diskussion. Sagib Ullah Khan Chamkani wirkt erleichtert und wischt sich mit einem Stofftuch Schweiß und Schmutz von der Stirn – und sein Lächeln gleich mit.

Fast vier Millionen Flüchtlinge sind seit 2002, seit dem Ende des Talibanregimes, schon nach Afghanistan zurückgekehrt. Doch die meisten der fast zwei Millionen, die nun noch in Pakistan leben, wollen bleiben. „Die Anzahl ist einfach zu hoch“, sagt Sagib Ullah Khan Chamkani. Er müsse zuerst an seine Landsleute denken. Pakistan hat 180 Millionen Einwohner, eine hohe Arbeitslosigkeit und viel Armut. Die Flut vor einem Jahr zerstörte 1,8 Millionen Häuser, 9000 Schulen und 1,3 Millionen Hektar Ackerfläche. Der Wiederaufbau überfordere das Land, sagt der Abgeordnete. Warum das so ist, verschweigt er: Die Steuersätze sind zu niedrig, Milliarden fließen in die Aufrüstung, viele Beamte und Politiker sind korrupt, Hilfsgelder werden unterschlagen und landen nicht immer dort, wo sie benötigt werden – in Orten wie Chamkani.

In dem Dorf leben die Menschen von der Landwirtschaft. Die Flut hat Felder zerstört und Vieh getötet, die meisten Einwohner konnten sich retten. Viele sind nun auf Hilfe angewiesen. Mit Mitteln des deutschen Entwicklungsministeriums und des UNHCR wurde das Gesundheitszentrum renoviert und eine neue Entbindungsstation gebaut.

Die Ärztin Nahud Rhattak führt die Gäste durch das kleine Zentrum. „Die Patientinnen sind froh, dass sie nicht mehr zum Krankenhaus in die Stadt fahren müssen“, sagt die Dreißigjährige. Sie zeigt den Entbindungsraum: ein Bett, ein Wandschirm, Metallrolltische. Viele Schwangere aus den Flüchtlingsfamilien seien bisher gar nicht zum Arzt gegangen – wegen der Kosten. Im Zentrum sind die Medikamente für Frauen, die entbunden haben, und ihre Säuglinge frei. Für die Geburt zahlen die Familien 1500 Rupien – etwa zwölf Euro. Allein die Fahrt zur Klinik in der Stadt kostet das Doppelte. Sagib Ullah Khan Chamkani hört schweigend von draußen zu. Der Entbindungsraum bleibt das Reich der Frauen.

Vor dem Tor toben einige Jungen. Der Abgeordnete schaut ihnen zu. Viele Flüchtlingskinder seien hier geboren worden, sagt er. Sie kennen Afghanistan nicht, wo seit 30 Jahren Krieg herrscht. Doch spätestens in zwei Jahren werden tausende Afghanen Pakistan verlassen müssen. Wenige Meter weiter sitzen die Afghanen auf weißen Plastikstühlen. Dem Alten mit dem Stock sind die Augen zugefallen. Im Schlaf scheint er zu lächeln.

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