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Politik: Die Hoffnung der Hirten

Polens Katholiken und Russlands orthodoxe Kirche werben für eine Versöhnung beider Länder – trotz schwieriger Vergangenheit.

Warschau - Es ist ein Schritt, der die jahrhundertelange Feindschaft zwischen Polen und Russland beenden könnte. In Warschau unterzeichneten der Moskauer Patriarch Kyrill I und Erzbischof Jozef Michalik, der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, am Freitag einen Versöhnungsappell. Die beiden Oberhäupter von Polens katholischer Kirche und Russlands orthodoxer Kirche riefen die Gläubigen darin zur gegenseitigen Versöhnung auf – trotz der tragischen Vergangenheit. „Wir rufen unsere Gläubigen auf, um die Vergebung des Leids, der Ungerechtigkeiten und alles Bösen zu bitten, das einander zugefügt wurde“, hieß es in der gemeinsamen Botschaft der Kirchenoberhäupter.

Der östliche Teil Polens befand sich lange unter der Herrschaft der Zaren. Zudem erinnert man sich auf polnischer Seite bis heute an die Ermordung von über 20 000 Offizieren in den Wäldern von Katyn durch den sowjetischen Geheimdienst im Jahr 1940. Auch die kommunistische Machtübernahme und sowjetische Blockzugehörigkeit nach dem Krieg in Polen wird als russisch-imperialistisches Machwerk verstanden. Russland wiederum wirft den Polen vor allem ein Massensterben unter sowjetischen Kriegsgefangenen im polnisch-sowjetischen Krieg vor über 80 Jahren vor.

Rechtsextreme Anhänger des polnischen Oppositionsführers Jaroslaw Kaczynski demonstrierten denn auch während der feierlichen Unterzeichnung des Versöhnungsaufrufs vor dem Warschauer Königsschloss. Kaczynskis Partei lebt seit Jahren vom Deutschen- und Russenhass. Noch mehr allerdings wurde die Reise des Moskauer Patriarchen Kyrill I nach Warschau von dem Moskauer Urteil gegen die Punkband Pussy Riot überschattet. So demonstrierten ein knappes Dutzend Polen bei Kyrills Ankunft für eine Freilassung der Musikerinnen, für die die russisch-orthodoxe Kirche wegen angeblicher Gotteslästerung harte Strafen gefordert hatte. Patriarch Kyrill hatte sich im Wahlkampf klar hinter Wladimir Putin gestellt.

Kommentatoren in Warschau heben allerdings hervor, dass auch zweifelhafte Figuren wie Patriarch Kyrill später wichtige Impulse liefern könnten. Bereits jetzt wird die polnisch-russische Versöhnungserklärung mit der Gemeinsamen Erklärung der Deutschen und Polnischen Bischofskonferenzen von 1965 verglichen. Diese gilt gemeinhin als Beginn der deutsch-polnischen Aussöhnung – noch vor Willy Brandts Kniefall in Warschau im Jahr 1970. Eine ähnliche Erklärung der ukrainisch-orthodoxen, von Moskau unabhängigen Kirche sowie der polnischen Bischöfe im Jahre 2005 hat die Annäherung der Nachbarvölker bereits erleichtert.

Die historischen Gegensätze zwischen Polen und Russland als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion sind allerdings größer. Ganze drei Jahre hatte deshalb allein die Ausarbeitung des Versöhnungsappells in Anspruch genommen. Die gemeinsame konservative Grundhaltung hatte die beiden Kirchenoberhäupter schließlich zusammengebracht. „Überlassen wir die Geschichte den Historikern und das, was heute real ist, uns – den Hirten“, hatte Kyrill bei seiner Ankunft in Warschau am Donnerstagabend gefordert. Paul Flückiger

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