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Politik: "Die Kirche steht nicht mehr glänzend da" - Interview mit Kardinal Sterzinsky

Kardinal Georg Sterzinsky (64) ist seit 1989 der Oberhirte des Erzbistums Berlin. Der in Ostpreußen geborene und in der DDR aufgewachsene Theologe wurde 1960 zum Priester geweiht.

Kardinal Georg Sterzinsky (64) ist seit 1989 der Oberhirte des Erzbistums Berlin. Der in Ostpreußen geborene und in der DDR aufgewachsene Theologe wurde 1960 zum Priester geweiht. Nach der Wende setzte er sich energisch für ein besseres Verständnis zwischen Ost und West ein. Immer wieder übte er scharfe Kritik an der Asyl- und Ausländerpolitik der Unionsparteien. Sterzinsky vertritt innerkirchlich einen gemäßigten Reformkurs. Er gehört zu den einflussreichsten deutschen Bischöfen.

In dieser Woche beginnen die Weltausstellung Expo in Hannover und der Katholikentag in Hamburg. Das eine ist die Leistungsschau der wissenschaftlichen Welt. Was bietet demgegenüber die Leistungsschau des Katholizismus im Heiligen Jahr 2000?

Der Begriff Leistungsschau passt nicht, er ist der christlichen Religion wesensfremd. Auch zieht ein Katholikentag keine öffentliche Bilanz für die Arbeit der Kirche in ihrer gesamten Weite und Breite. Die Frage in Hamburg ist nicht: Was haben wir geleistet? Auch haben wir keinen Anlass, uns in unserem Glanz zu sonnen. Die Frage ist, in welcher Lage befinden wir uns und wie können wir situationsgerecht von christlichem Glauben her Antworten geben.

Aus Sicht der Gesellschaft ist die Kirche auch nur ein Dienstleister - und zwar für soziale Fragen und Sinnfragen.

Die Frage der Gesellschaft an die Kirche ist zu Recht: Was habt ihr anzubieten, was seid ihr wert? Hier müssen wir als Kirche Antworten geben und dürfen uns nicht nur selbst bespiegeln.

Ihre Angebote sind kaum noch gefragt. Religiöse und kirchliche Themen spielen in persönlichen Gesprächen, in Schulen, Beruf und Freizeit nur noch eine untergeordnete Rolle.

Es stimmt, die Zahl der kirchlich interessierten Jugendlichen wird immer kleiner. Diese wenigen religiös Ansprechbaren jedoch gehen dafür stärker in die Tiefe als früher. Sie sind sehr aufgeschlossen, fragen hartnäckig und tiefschürfend. Wenn ich zum Beispiel heute über Gebet spreche, merke ich, dass dieses Thema junge Leute viel mehr bewegt, als vor zwanzig oder vierzig Jahren.

Wird die Kirche also in Zukunft kleiner und dafür tiefer?

Darauf richte ich mich ein. Die Kirche wird nicht mehr so glänzend da stehen wie noch vor einer Generation. Sie wird nicht mehr als das Licht der Welt empfunden, die Stadt auf dem Berg, sondern eher als das Salz der Erde. Das Salz bewahrt vor Fäulnis und gibt dem Ganzen erst den richtigen Geschmack.

Kleiner und tiefer - ist das der Weg in die Sekte?

Die Gefahr, dass wir im Ghetto landen und nur noch Innerlichkeit pflegen, ist gegeben. Aber diese Gefahr ist zu meistern.

Wie?

Zum Beispiel durch den Katholikentag. Beim Katholikentag werden die Schwachstellen der Kirche schonungslos aufgedeckt. In den Diskussionsveranstaltungen werden sehr viel kritische Fragen gestellt. Das geht so weit, dass der Eindruck entsteht, die Christen wüssten bereits, dass der Patient Kirche schwer krank ist, und wollen nur noch erfahren, woran er krank ist.

Noch einmal zurück zum kirchlichen Sektierertum: Sie haben Neujahr im Tagesspiegel geschrieben, sie wünschen sich für das Jahr 2000, dass Singles das Defizitäre ihrer Lebensweise erkennen? Das hat viele empört. Warum haben Sie das gesagt?

Dieses Zitat war aus dem Zusammenhang gerissen. Es stammt aus einem kleinen Beitrag von mir über die Frage: Ist die Familie ein überholtes Modell? Dort habe ich geschrieben, dass Ehe und Familie eine Zukunft haben. In diesem Zusammenhang habe ich gesagt, den Singles wünsche ich, dass sie das einsehen und den Mut haben, eine Familie zu gründen. Gemeint waren natürlich nur die Singles, die sich aus Misstrauen gegen sich und ihren Partner nicht trauen zu heiraten. Das verkürzte Zitat in der Zeitung sieht jedoch so aus, als ob ich alle Singles pauschal kritisieren wollte. Keineswegs.

Durch den Regierungsumzug sind viele Katholiken in die Stadt gekommen. Was fangen Sie an mit diesem Zugewinn?

Der Zuwachs hält sich in Grenzen. Auch bin ich enttäuscht, dass zuziehende Katholiken sich anscheinend nicht intensiver nach dem Gemeindeleben erkundigen. Erfreut bin ich, dass die Nachfrage nach zentralen kirchlichen Veranstaltungen gestiegen ist. Stärker gefragt ist die Kirche auch auf dem politischen Parkett. Nicht weil man sich die kirchliche Position zueigen machen will, sondern sie bedenken und kritisch prüfen möchte.

Wenn Sie so stark gefragt sind und der Austausch mit der Politik intensiv ist, wie kommt es, dass die rot-grüne Regierung bei der Steuerreform die kirchlichen Belange schlicht vergessen hat?

Hier lag der Fehler überwiegend bei der Kirche selbst. Wir haben uns nicht laut genug bemerkbar gemacht.

Wolfgang Thierse, Christa Nickels, Hermann Kues und Jörg van Essen haben in Berlin einen politischen Club gegründet, damit Katholiken mehr Einfluss nehmen können auf die Politik. Halten Sie das für aussichtsreich?

Das ist eine notwendige Initiative über die Parteigrenzen hinweg. Natürlich wäre vielen in der katholischen Kirche eine CDU-Regierung lieber. Dann könnte man die CDU beim Wort nehmen und einfordern, dass sie wirklich christliche Werte zur Grundlage ihrer Arbeit macht. Ich weiß nicht, ob Frau Merkel stark genug ist durchzusetzen, dass das C nicht nur im Namen steht, sondern auch Programmanzeige ist. Momentan kann man sich über manche Dinge in der Union nur wundern.

Zum Beispiel?

Der Vorschlag von CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz, das Asylrecht abzuschaffen. Das ist mit christlichen Grundwerten unvereinbar.

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hat die Vergebungsbitte des Papstes für sein Bistum präzisiert. Er hat um Verzeihung gebeten für die von Verboten geprägte Sexualmoral der Kirche, für den Missbrauch Jugendlicher durch Geistliche sowie für das Versagen der Kirche gegenüber den Frauen. Ist das für Sie ein Vorbild?

Das haben wir ebenfalls gemacht, stand jedoch in keiner Zeitung. Ich habe in der Fastenzeit beim Bußgang der Berliner Katholiken daran erinnert, dass es auch in unserem Bistum vielfältiges Versagen gibt. Wir haben nicht genug getan für die Aufnahme und Beheimatung ausländischer Katholiken. Wir haben als deutsche Pfarrgemeinden zu wenig dazu beigetragen, dass Ausländer in unserem Land willkommen sind.

Da Sie Kardinal sind, werden Sie den Nachfolger von Johannes Paul II. mitwählen. Welche Eigenschaften muss der nächste Papst haben?

Der neue Papst muss vor allem Gelassenheit und Vertrauen haben. Er muss das Vertrauen haben, dass überall in der weltweiten Kirche Menschen arbeiten, die wissen, was zu tun ist. Der neue Papst muss in der Pluralität der Kirche eine Bereicherung sehen und nicht primär eine Gefahr. Das vermisse ich beim jetzigen Papst gar nicht. Aber er hat viele Mitarbeiter in der Kurie, die in einem römischen Uniformismus gefangen sind.

Also eine Reform der Kurie?

Was wir vor allem brauchen ist ein Generationenwechsel in der Kurie, eine Verjüngung der Kurie. Auch die europäische Dominanz ist nicht mehr zeitgemäß. Der Schwerpunkt der Kirche verlagert sich nach Afrika, Asien und Lateinamerika. Dies wird das Gesicht der Kirche in Zukunft prägen. Natürlich hat Rom ein Wächteramt. Aber es darf nicht immer alles erst von der Initiative und Zustimmung Roms abhängen. Das Gespräch führten Martin Gehlen und Bernd Ulrich

In dieser Woche beginnen die Weltausstellung Expo

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