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Politik: Die Kirche und das Dorf

Hamburgs Airbuswerk braucht eine längere Landebahn. Der Senat denkt an Enteignung – und hofft, dass die Bischöfin das verhindert

Hamburg - Enteignung gehört nicht gerade zu den programmatischen Schwerpunkten der CDU. Trotzdem verbindet sich damit jetzt die ganze Hoffnung des Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) – und vielleicht gar die eigene Zukunft. Mit Sorge sehen Politik, Wirtschaft und Kirche, wie der Streit um die Verlängerung der Airbus-Landebahn in das Obstanbaugebiet in Hamburg-Neuenfelde immer weiter eskaliert. Jetzt muss die Union auf Hilfe von ganz oben hoffen.

Auf die evangelische Bischöfin Maria Jepsen richten sich alle Blicke, aber sogar Bundeskanzler Schröder wird schon als Retter der Hamburger High-Tech-Jobs gehandelt. Hamburgs Industrie fürchtet, dass Airbus mit dem Großflugzeug A380 und seinen ehrgeizigen Wachstumszielen immer stärker auf den Standort Toulouse setzt. „Ein Verzicht auf das Hamburger Auslieferungszentrum hätte Signalwirkung“, analysierte das Bundeswirtschaftsministerium. Ein Ende des Projekts wäre eine „riesige Blamage“ für den Industriestandort Deutschland, sagte von Beust. Eigene Fehler räumte der große Kommunikator bereits früher ein: „Ein Moderationsverfahren ist wohl im Zweifel klüger als ein eskalierender Konflikt.“

Doch der ist es jetzt da, und mittendrin: die Kirche, ganz unten und ganz oben. Bischöfin Jepsen muss sich mit dem Vorstand der St.-Pankratius-Gemeinde in Neuenfelde auseinander setzen, der fest an der Seite der Obstbauern steht und nicht mehr außergerichtlich über den Verkauf eines Grundstücks verhandeln will, das für die Landebahn benötigt wird. Verantwortungslos, unchristlich und unhöflich sei dieses Verhalten, schimpfte von Beust. Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) rüffelte den Kirchenvorstand, er solle sich „um den ordnungsgemäßen Gottesdienst kümmern“. Die Tragweite der Airbus-Entscheidung sprenge den Rahmen der Gemeinde. Der Senat sei aber weiterhin gesprächsbereit. Gleichzeitig bereitet er ein zweites Enteignungsverfahren gegen die verbliebenen drei renitenten Grundstückseigner vor. Doch das kann Jahre dauern.

Hamburgs Wirtschaft ist irritiert: Enteignung war bisher Teufelswerk. Der Präses der Handelskammer, Karl-Joachim Dreyer: „Auch wenn das Eigentum im Grundgesetz der Bundesrepublik garantiert wird, was ich ausdrücklich begrüße, muss sich die Kirchengemeinde bewusst sein, dass sie dem Wirtschaftsstandort Hamburg schweren Schaden zufügt und Tausende von Arbeitsplätzen gefährdet.“

Sie sei „außerordentlich verärgert“, ließ Bischöfin Jepsen den Neuenfelder Kirchenvorstand wissen: Nicht nur Obstbauern sind Kirchenmitglieder, sondern auch Flugzeugbauer. „Die jetzt entstandene Situation fügt der Kirche erheblichen Schaden zu“, urteilte der „Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt“. Jepsen lässt nun prüfen, ob der Beschluss rechtmäßig war. Die Landebahngegner fühlen sich allerdings von der Kirchenleitung im Stich gelassen.

Region kontra Moderne: In der Hamburger Senatskanzlei wird jetzt sogar geprüft, ob Eigentumsrechte grundsätzlich verändert werden müssen, wenn öffentliche Belange betroffen sind. Artikel 14 des Grundgesetzes könne so verändert werden, dass von dieser Verfassungsgarantie jene Eigentumsrechte ausgenommen werden, die nur erworben wurden, um öffentliche Infrastrukturprojekte zu blockieren. Auch die Verwaltungsgerichtsordnung, Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren gehörten auf den Prüfstand, um die Verfahrensabläufe zu beschleunigen. Im Fall Airbus hilft das aber nicht weiter.

Noch hält die SPD still. Doch von Beust habe sich zu spät persönlich um das Projekt gekümmert und führe ein „dilettantisches Krisenmanagement“ vor, heißt es in der Opposition. In der CDU wird darüber nachgedacht, ob Senator Uldall vielleicht den Zenit seines Schaffens überschritten haben könnte. Andererseits können sich die Christdemokraten im Airbus-Streit erstmals als Arbeiterführer fühlen – für dieses seltene Erlebnis schreiben sie das C einfach etwas kleiner.

Günter Beling[Hamburg]

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