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Politik: Die langen Schatten der Geschichte

Kroatien verhandelt wieder über den EU-Beitritt In einigen Regionen lebt die Kriegsvergangenheit

Kroatien klopft an die Tür der EU. Die Beitrittsgespräche zwischen Zagreb und der Europäischen Union wurden am Freitag in Brüssel nach fast einjähriger Unterbrechung wieder aufgenommen. Die Fortsetzung der Verhandlungen war dank einer Einigung zwischen Kroatien und seinem zur EU gehörenden Nachbarn Slowenien möglich geworden: Die kroatische Ministerpräsidentin Jadranka Kosor und ihr slowenischer Amtskollege Borut Pahor hatten sich darauf verständigt, dass ein seit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens andauernder Grenzkonflikt zwischen den beiden ehemaligen Teilrepubliken den Fortgang der Beitrittsverhandlungen nicht blockieren soll.

Auch wenn Kroatien noch umfangreiche Verhandlungen über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bevorstehen – mit einem Scheitern rechnet kaum jemand. Die politische Elite des Landes hat dafür erhebliche Vorleistungen erbracht. Verwaltungs- und Justizreformen sollen ein gutes Klima für Investitionen schaffen; Staatspräsident Stjepan Mesic und der im Juli zurückgetretene Ministerpräsident Ivo Sanader haben zudem den Versöhnungsprozess mit dem einstigen Kriegsgegner Serbien vorangebracht. Längst zeigen sich die Erfolge dieser Politik. Kroatien ist weltoffener geworden, vom nationalistisch-klerikalen Mief, der sich in den 90er Jahren über das Land gelegt hatte, ist vielerorts nichts mehr zu spüren.

In manchen Regionen hingegen befinden sich Teile der Gesellschaft noch immer im Würgegriff der Vergangenheit. Vor allem dort, wo sowohl im Zweiten Weltkrieg wie im Unabhängigkeitskrieg zwischen 1991 und 1995 erbittert um jeden Quadratmeter Boden gerungen wurde.

So auch in Dalmatien. Vor Ort erforschen derzeit Nachwuchshistoriker aus Berlin, inwieweit die beiden prägenden geschichtlichen Ereignisse der vergangenen 70 Jahre im Alltag der Kroaten heute noch zusammenpassen. Die Geschichtswissenschaftler Marija Vulesica, Bernd Robionek und Nils Müller untersuchen, ob der im serbisch dominierten Tito-Jugoslawien aufgezwungene Partisanenkult in einer Region überdauern kann, in der die Belgrader Angriffe während des Kroatien-Krieges noch allgegenwärtig sind. Finanziert wird das Vorhaben der Nachwuchshistoriker aus Mitteln der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ). Die Stiftung wurde 2000 gegründet, um ehemalige Zwangsarbeiter zu entschädigen und Projekte zur Geschichtsaufarbeitung zu fördern.

Der Ort für das Projekt ist gut gewählt: Dalmatien ist eine Hochburg von Anhängern des ehemaligen kroatischen Generals Ante Gotovina. Der Ex-Soldat, der es vom Fremdenlegionär und Juwelendieb zum Generalleutnant der kroatischen Armee brachte, wird in dem Landstrich als Held verehrt, seitdem ihm unterstellte Einheiten 1995 während der Militäroperation „Oluja“ (Sturm) die letzten gegnerischen Freischärlerverbände aus Dalmatien verjagten. Und dazu noch die serbische Zivilbevölkerung, wobei es zu Gräueltaten kam. Deshalb muss sich Gotovina gegenwärtig vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten. Was seine Beliebtheit nicht schmälert: „Gotovina ist in der Region unantastbar. Kritik an ihm wird reflexartig zurückgewiesen“, sagt die Geschichtswissenschaftlerin Marija Vulesica.

Wie in dem Projekt unter dem Motto „Schichten der Erinnerung“ deutlich wird, genießt ein anderer Teil der kroatischen Geschichte hingegen alles andere als Kultstatus: So werden Denkmäler, die der antifaschistischen Traditionspflege dienen, vielfach beschmiert, zerschlagen oder dem Verfall überlassen. „Nationalistische Kreise in Kroatien setzen Serben und Partisanen noch heute gleich“, erklärt Historiker Nils Müller diese Form der militanten Geschichtsklitterung.

Martin Eich[Split]

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