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Politik: Die letzte Wohnung ist lange kein Zuhause

Nur auf den ersten Blick ist das Pflegeheim Am Plänterwald ein Altenheim wie jedes andere. Ein Besuch

Lange Flure, dunkelgelbe Schutzleisten an Wänden und Türen. Es riecht mal klinisch nach Desinfektionsmittel, mal etwas streng, nach fehlendem Desinfektionsmittel, mal aber auch ganz normal, nach dem Wohnzimmer alter Leute, überheizt und etwas ungelüftet. Das Haus Am Plänterwald ist ein Pflegewohnheim, „und ein Heim ist nun mal ein Heim“, sagt Dirk Müller, während er den Flur im siebten Stock des DDR- Baus hinuntergeht, hier grüßt und dort eine Hand ergreift. Ein alter Mann antwortet auf die Frage nach dem Befinden mit einer abfälligen Handbewegung und einem „Alles nicht schön“. Müllers Nachfrage „Was wäre denn schön?“ aber erntet ein Lächeln.

Müller, gelernter Altenpfleger und inzwischen Leiter des heimübergreifenden „Kompetenzzentrums für Palliative Geriatrie“ (KPG) beim Unionhilfswerk, Träger von insgesamt fünf Pflegeheimen in Berlin, weiß sichtbar, wie man sich bewegt in einem Heim wie diesem, das nicht verleugnen kann, dass es Endstation ist: ein Heim für 140 meist multimorbide, oft schwerst pflegebedürftige, überwiegend demente alte Menschen, die kein Geld haben für ein teures, privates Heim oder Rund-um-die-Uhr-Betreuung in den eigenen vier Wänden. Die an ihrem Lebensende mit wenigen persönlichen Gegenständen in einem Zimmer mit Pflegebett gestrandet sind.

Doch Müller, der hier heute einen Besuch abstattet, und seine Kolleginnen vor Ort wissen auch, wie man aus den bescheidenen Möglichkeiten doch das Beste herausholt. Zum Beispiel, indem man eben nicht vorgaukelt, so ein Altenheim sei die Erfüllung aller Träume. „Gerade die Angehörigen sind da oft nicht ehrlich“, sagt Heimleiterin Daniela Ullmann wenig später im kleinen Konferenzzimmer im Erdgeschoss, direkt neben der Nische, in der eine Kerze für die Verstorbenen des letzten Monats brennt. „Es wird ganz lange nicht das Zuhause sein“, ergänzt Pflegedienstleiterin Marika Heß. Und wer als alter Mensch mit dieser Erkenntnis alleingelassen werde, habe es noch schwerer, sich mit der „letzten Wohnung“ anzufreunden.

Wie aber stellt man darüber hinaus menschenwürdige Pflege sicher? In einer Zeit, in der gute Pfleger und zuverlässige Ehrenamtliche Mangelware, die Heime pauschal immer verrufener und die „Nutzer“, wie sie am Plänterwald genannt werden, in einem immer schlechteren Gesundheitszustand den Schritt ins Heim wagen. Vielleicht ja, indem man genau darauf reagiert: „Die Einrichtungen werden immer hospizähnlicher“, sagt Müller. Darauf müsse man vorbereitet sein. Daher auch der Vorstoß des Unionhilfswerks in Richtung Palliative Geriatrie, die Schwerpunktverschiebung auf die Begleitung speziell in der allerletzten Lebensphase.

Im Pflegeheim Am Plänterwald gehört dazu, neben einer hauptamtlichen Palliativbeauftragten, dass alle Mitarbeiter auf Seminaren sensibilisiert werden für Schmerzsignale. Und dass jeder – bis hin zur Reinigungskraft – motiviert wird, aufmerksam zu sein, Beobachtungen weiterzugeben. „Gute Heime zeichnen sich durch Mitarbeiter aus, die in alle Richtungen kommunikativ sind“, sagt Müller. Damit es von denen mehr gibt, brauche es jedoch in der Gesellschaft mehr Wertschätzung für den Pflegeberuf: „Die Mitarbeiter müssen spüren, dass das, was sie tun, ein super komplexer, hochinteressanter Job ist.“

Für die Menschen am Ende des Lebens das Nötige richtig tun, Unnötiges einfach unterlassen – so könnte man den von Pflegeexperte Claus Fussek gelobten Ansatz des Unionhilfswerks vielleicht zusammenfassen. Der Flur im siebten Stock des Pflegeheims Am Plänterwald ist dafür das beste Beispiel: Hinter den gelben Schutzleisten sind die Wände in angenehmen Tönen gestrichen, Sessel laden zum Verweilen ein. Es ist ein wenig unordentlich, man könnte auch sagen: bewohnt. Die dementen Nutzer lassen oft Sachen herumliegen, das Pflegepersonal räumt ihnen nicht alles sofort hinterher. Im Fahrstuhl hat eine alte Dame mit Rollator alle Knöpfe gedrückt, möchte die „Etage mit dem Funkturm“ nicht verpassen – vis-à-vis des Lifts sind im ganzen Haus Fotografien prägnanter Berliner Bauwerke aufgehängt, zur Orientierung für die Verwirrten. Bei der Siegessäule steigt sie aus, rollt – ohne von den anwesenden Pflegern über ihren Irrtum belehrt zu werden – ins falsche Stockwerk. Seelenruhig.

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