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Politik: „Die Magensonde zu entfernen, wäre Mord“

Der US-Kongress und Präsident Bush setzen sich für das Leben einer Frau ein, die seit 15 Jahren im Wachkoma liegt – und die Angehörigen sind tief zerstritten

Es war sein erstes Mal. Nie zuvor hatte George W. Bush einen Urlaub abgebrochen, um ins Weiße Haus zurückzukehren. Der US-Präsident galt als jemand, der seine Pläne nicht ändert, weil ihn nichts aus der Fassung bringt – auch nicht der Terror und zwei Kriege. Doch diesmal drängte es Bush. Er wollte mit seiner Unterschrift zur Verfügung stehen, Tag und Nacht. Man möge ihn wecken, sagte er seinen Mitarbeitern, sobald der Kongress ein Sondergesetz verabschiedet hat, das Terri Schiavo retten soll. Das ist jene 41-jährige Frau, die seit 15 Jahren in einer Art Wachkoma liegt. Am vergangenen Freitag war ihr die Magensonde entfernt worden, die sie künstlich ernährt.

Zuvor waren beide Häuser des Kongresses aktiv geworden. Die Kongressmitglieder waren bereits im Osterurlaub. Dann wurde fürs Wochenende eine Sondersitzung zum Fall Schiavo einberufen. Die Debatte wurde live im Fernsehen übertragen. Ganz Amerika verfolgt das Schicksal dieser Frau.

Die Intervention der höchsten politischen Bundesorgane in einen Einzelfall ist so einzigartig wie ungewöhnlich. Vor Bush hatten schon andere Präsidenten ihre Pläne abrupt geändert. Ronald Reagan etwa kehrte im September 1983 vorzeitig nach Washington zurück, nachdem russische Kampfflugzeuge eine südkoreanische Passagiermaschine abgeschossen hatten. Bill Clinton tat im August 1998 dasselbe, um Luftangriffe auf Terrorstützpunkte im Sudan und in Afghanistan zu befehligen. Das waren schwere außenpolitische Krisen. Bush dagegen will eine einzelne Frau retten.

Schiavo liegt seit 15 Jahren in einem so genannten Wachkoma. Hirntod ist sie nicht. Manchmal ist sie wach, meistens schläft sie. Ob sie Schmerz empfindet, ist unklar. Bei weiterer künstlicher Ernährung kann sie noch Jahre leben. Ihr Mann Michael behauptet, Terris Wunsch sei es gewesen, im Falle einer unheilbaren Erkrankung niemals künstlich ernährt zu werden. In den USA hat jeder Mensch das Recht, bestimmte medizinische Behandlungsmethoden für sich abzulehnen. Juristisch war der Fall daher klar. 19 Richter haben sich in Florida damit befasst und stellten fest: Die Geräte müssen abgestellt werden.

Doch die Moral vieler Menschen sträubt sich dagegen. Terris Eltern kämpfen für ihr Weiterleben. Sie glauben, ihre Tochter könne genesen, auch wenn Mediziner die Chancen dafür als minimal einschätzen. Außerdem hat Terri keine Patientenverfügung hinterlassen. Ihr angeblicher Sterbenswunsch beruht auf Zeugenaussagen. Insofern ist dies kein klassischer Fall von Sterbehilfe. Terri stirbt nicht. Und ihre Angehörigen sind tief zerstritten über die Frage, was mit ihr zu geschehen habe. Die Entfernung der Magensonde, sagen Terris Eltern, käme einem Mord gleich.

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