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Politik: Die Moral der Zahl

WIE STARK IST EICHEL?

Von Antje Sirleschtov

Nun mach’s mal halblang Hans, soll der Kanzler seinen Finanzminister angeraunzt haben. Nicht nur einmal in dieser Woche. Immer wieder wird getuschelt, dass der gnadenlose Eichel mit seinen nervigen Sparforderungen den Geist der Koalitionsverhandlungen störe. Dass er die Hoffnungen auf den Aufschwung torpediere, der doch so nahe zu sein scheint, seit sich die Regierung mit einem anderen Superminister, dem für Wirtschaft und Arbeit, schmückt. Dass Eichel gar zurücktreten könnte. Sagt man. Oder zumindest damit gedroht haben soll. Sagt man.

Wem es gefällt, solche Botschaften des Zerwürfnisses zu verbreiten, den treibt ein durchsichtiges Motiv. Der will den Menschen weismachen, dass sich verantwortliches Regieren in Deutschland vor allem in kluger Verteilung erfüllt. Dass man den Erfolg der Koalition daran wird messen können, wie viele Investitionen letztlich an welcher Stelle in den Vertrag hineingeschrieben sind. Für Verkehr, für die Bundeswehr, für die Umsetzung des Hartz-Konzepts oder für Familien mit Kindern. Einer wie Eichel, der passt natürlich nicht da rein. Weder bei den Sozialdemokraten noch bei den Grünen. Denn wer droht, Eigenheimbauern die Förderung zu kürzen oder Unternehmer mit Mindeststeuern zu belasten, der vermindert die Popularität der roten wie der grünen Teile der Bundesregierung und lähmt die Regierung, noch bevor das Regieren richtig losgeht.

Die Befürchtungen sind berechtigt. Denn alles Verhandeln der vergangenen Tage wäre für die Katz gewesen, wenn der Finanzminister am Wochenende die Ergebnisse wieder einkassiert, vom Aufbau im Osten bis hin zu den Milliarden für Ganztagsschulen. Weil sie den engen Haushaltsansatz für das nächste Jahr sprengen oder die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen bis 2006 gefährden. Oder den europäischen Stabilitätszielen von Maastricht widersprechen.

In Wahrheit weist das Gerangel um den Status des Finanzministers darauf hin, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer bis jetzt nur bewiesen haben, wie clever sie dabei sind, ihre eigenen linken oder ökologisch-liberalen Interessen im koalitionsinternen Machtkampf durchzuboxen. Und dass sich Finanzminister Eichel beim Verteilen von Giftlisten wie kein anderer aufs Buchhalten versteht. Die Bürger sehnen sich vielmehr nach wirtschaftlichem Aufschwung mit neuen Arbeitsplätzen, sozialer Sicherheit und mehr Bewusstsein für die Umwelt – ohne Angst davor haben zu müssen, dass die nächste Generation diesen Wohlstand bitter bezahlen muss. Dafür gaben ihnen die Wähler kein Mandat. Das nämlich ist die höhere Moral hinter Eichels Zahlen: Rot-Grün erhielt die Chance nicht, uns ein weiteres mal „sorry“ dafür zu sagen, dass es mit Reformen wieder nichts wird, weil wir sie uns nicht leisten können.

Finanzpolitik darf deshalb nicht um ihrer selbst willen betrieben werden. Sie muss den Menschen Perspektiven eröffnen, um glaubwürdig zu sein. Vielleicht müssen dafür Kumpel im Ruhrpott den Gürtel enger schnallen und auf den Metrorapid verzichten, damit mehr Geld für Bildung da ist. Oder Autofahrer müssen mit der Kürzung der Entfernungspauschale billigeres Bahnfahren finanzieren. Ganz gleich, welcher Weg jetzt im Endspurt eingeschlagen wird: Die Konsolidierung des Haushalts darf dabei so wenig aufgegeben werden, wie der Finanzminister im Kabinett dafür allein verantwortlich ist, dass die Kasse stimmt. Wer mit öffentlichen Investitionen aus dem ökonomischen Tal herausfinden und gleichzeitig sparen will, der braucht nicht Hans oder Wolfgang. Der braucht zwei Superminister. Mindestens.

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