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Politik: Die Mullahs bitten zum Tanz, und die Kontrahenten rüsten sich für die Schlacht ums Parlament (Analyse)

Ob Ali Akbar Hashemi Rafsandschani heute zu seinem 65. Geburtstag eine knackig junge, glutäugige Dame zum Tanze bittet, war bei Redaktionsschluss nicht absehbar.

Ob Ali Akbar Hashemi Rafsandschani heute zu seinem 65. Geburtstag eine knackig junge, glutäugige Dame zum Tanze bittet, war bei Redaktionsschluss nicht absehbar. Dass Irans Staatspräsident a. D. diese Möglichkeit körperlicher Verlustierung aber ins Auge fasst, davon können wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgehen. Denn Kulturminister Mohadscherani hat eine neue Phase der Liberalisierung Irans eingeleitet: "Tanzen sollte nicht unter allen Umständen ein absolutes Tabu sein," dekredierte er noch rechtzeitig vor Rafsandschanis Geburtstag. Eines allerdings wird er dabei zu verhüten wissen: eine andere als die eigene Frau zum Tanze zu bitten. Darauf setzt es in Iran, wenn es denn öffentlich gemacht wird, Peitschenhiebe - trotz aller Liberalisierung. Und auch das "Hofern", den Beischlaf mit einer Frau anderen Glaubens, wird der Ex-Staatspräsident gewiss meiden. Darauf steht nämlich die Todesstrafe - noch immer, trotz aller Liberalisierung.

Rafsandschani wird nach weltlichem Maßstab gesittet seinen 65. Geburtstag feiern (müssen). Wahrscheinlich in trauter Runde mit dem Religiösen Oberhaupt Chamenei, Ex-Außenminister Velayati und Ex-Geheimdienstminister Fallahian, der soeben selber über eine junge, glutäugige Stewardess gestolpert ist. Dieser Kreis ist nicht erst seit dem Urteilsspruch des Berliner Gerichts eng miteinander verschweißt, als die vier der vierfachen Anstiftung zum Morde geziehen worden sind, was allein schon auf Lebenszeit verbindet. Viel eher, weil alle weiter, wenn auch nicht immer für den Westen erkennbar, weite Teile der Politik Irans dominieren.

Auf die dem neuen Staatspräsidenten Chatami zugeschriebene erfolgreiche Normalisierung des Verhältnisses zwischen Iran und Saudi-Arabien, den Golfstaaten und Jordanien hat in der Tat dieses Quartett die Urheberrechte. Es betreibt eine effiziente Neben-Außenpolitik, die Chatami lächelnd als die seine abnicken muss. Ebenso über weite Bereiche der Innenpolitik, Justiz, Geheimdienste, Gerichtsbarkeit und der Sicherheitskräfte verfügen diese vier brothers in arms.

Auch Rafsandschani, der im Parlament und bei Pressekonferenzen mit ausländischen Journalisten als Zeichen seiner grenzenlosen Demut mit löchrigen Hausschlappen oder sohlenfreien Schuhen aufzutreten beliebte, galt anfangs als "Reformer" und "Liberaler". Wie alle Staatspräsidenten Irans. Sein Vorgänger Banisadr büßte für solch politische Libertinage schnell und musste sich der großmullahschen, tödlichen Fürsorge Chomeinis durch die Flucht ins Ausland entziehen.

Der demütige Multimillionär Rafsandschani, der über die einflussreichsten Stiftungen des Landes gebietet, hat zu solchen Sicherheitsvorkehrungen keinerlei Anlass. Er ist mit Chamenei nicht nur befreundet, sondern heckt mit ihm das Comeback für die Parlamentswahlen im Februar 2000 aus. Da will er seinen Nachfolger Chatami zum Tanze bitten - offenbar auf dem selben Ticket. Unlängst bekannte er treuherzig drohend: "Ich unterstütze die Politik von Präsident Chatami voll und ganz." Was läge da näher als ebenfalls voll und ganz als "Reformer" und "Liberaler" in die Wahlbütt zu steigen, obendrein mit der Unterstützung Chameneis. Und Chatami?

Vor zwei Jahren, als Rafsandschani mit seiner Niederlage in den Ruhestand versetzt schien, begann die internationale Karriere des "Großen Kommunikators" Chatami, der in Iran wegen seines langjährigen Anpassungskurses an Chomeinis Terrorregime als "großer Schweiger" galt. Auch er, wie die Vorgänger Banisadr und Rafsandschani, startete als liberaler Reformer. Er wurde zum Medium des Volkes - wie seine Vorgänger. Auch er sollte für das Volk die Stimme erheben und den diffusen Unmut über die bigotten Herrscher, die seit 20 Jahren Wasser predigen, selber aber Wein trinken, in einen mächtigen Strom kanalisieren. Und auch Chatami sucht nach dem "dritten Weg". Den kann er nur unter einer Voraussetzung planieren: wenn die Seinen die Parlamentswahlen im Februar gewinnen. Nach zwei Jahren im Amt hat der Ronald Reagan Irans gerade noch fünf Monate Vorbereitungszeit.

Rüdiger Scheidges

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