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Politik: Die neuen Zensoren

Die birmanische Schriftstellerin und Ärztin Ma Thida spricht über ihr Land im Übergang und die Freiheit, die sie meint.

Berlin - Auf den ersten Blick sieht sie aus wie der Beweis für die neue Freiheit in Birma: Ma Thida (46), Schriftstellerin, Journalistin, Lehrerin und Ärztin aus Rangun. Sie war zu Gast auf dem Literaturfestival, sie sprach in Berlin offen über ihr Land – und es wurde deutlich, dass vieles, was nach Freiheit aussieht, noch nicht Freiheit ist. Und dass die Furcht vor Repression noch immer tief sitzt.

Ma Thida nennt als Beispiel die Zensur. Offiziell müssen Texte nicht mehr vorgelegt werden, aber die Zensurbehörde gibt es noch. Wegen der Zensur gibt es nur Wochenzeitungen, davon aber 200. Die Regierung hat ein neues Mediengesetz angekündigt, den Entwurf, der ans Parlament ging, kenne aber niemand sonst, kritisiert Ma Thida. Doch der neue Informationsminister sei mit dem Entwurf der Regierung nicht einverstanden. Erst 2013 soll es Tageszeitungen geben. Die Lizenzen dafür würden gerade „an die Töchter und Söhne der Generäle und deren Günstlinge“ vergeben, „nicht an echte Journalisten“, beklagt sie.

Es gebe keinen Kodex für die Medien und fast keine jenseits der Propaganda ausgebildeten Journalisten. Die Leser seien Propaganda gewöhnt und auch bei Exilmedien arbeiteten Aktivisten, keine Journalisten, sagt Ma Thida: „Selbst wenn die Zensurbehörde abgeschafft würde, haben wir dann freie Medien?“

Ma Thida, die unter der Junta die Partei der Oppositionsikone Aung San Suu Kyi unterstützte und deshalb im Gefängnis saß, macht ihre eigenen Erfahrungen mit der Pressefreiheit: Als sie 2002 eine Kurzgeschichte schrieb, wurde sie nicht gedruckt, 2007 noch unter der Junta durfte sie beschnitten erscheinen, ungekürzt erst kürzlich. Aber selbst jetzt lehnen viele Redakteure ihre Texte ab, erzählt sie bei einem Treffen mit der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Die Redakteure haben Angst – und üben Selbstzensur. Ma Thida hat sich um eine Lizenz für ein Gesundheitsmagazin beworben. „Ich habe sie bisher nicht bekommen.“ In der Zwischenzeit arbeitet sie bei der Wochenzeitung „Myanmar Independent“; der Chef traue sich, sie anzustellen.

Wer glaube, dass in Fernsehen und Radio inzwischen unabhängige Nachrichten gesendet würden, irre. Die kommerziellen Sender strahlten vor allem Musik und Werbung aus – und übernähmen die Nachrichten der Staatssender. Denen misstraut sie weiterhin. Ma Thida hat einen bitteren Verdacht, wenn es um die Berichte über Zusammenstöße zwischen Buddhisten und Muslimen im Rakhine-Staat geht, die weltweit Empörung ausgelöst hatten. Die Situation dort sei schon lange kompliziert, sagt sie. Aber sie bezweifelt, dass die jüngsten Berichte von dort stimmen. Alles mache den Eindruck, als sei etwas inszeniert, über die Staatsmedien transportiert und dann von anderen aufgenommen worden. Ihrer Meinung nach könnte es sogar die Armee selbst gewesen sein. „War es eine Falle der Hardliner?“, fragt sie. Ma Thida schildert die Lage so: Zunächst habe es in einem Dorf im Süden des Rakhine-Staates eine Vergewaltigung gegeben, für die Mitglieder der muslimischen Minderheit verantwortlich gemacht wurden. Drei Verdächtige seien eingesperrt worden. Dann hätten Demonstranten die Todesstrafe gefordert. Aber die zehn Muslime, die dann ermordet wurden, seien nicht aus der Gegend gewesen und rund 200 Kilometer nördlich auf offener Strecke grausam ermordet worden – nicht von einem Mob in einer Stadt. „Wir sollten uns das ganz vorsichtig ansehen“, mahnt sie. Für Ma Thida ist das kein religiös motivierter Konflikt, sondern Ausdruck eines „gescheiterten Staats“.

Ma Thida wirbt für bessere Bildung. Die Menschen könnten nicht mehr geduldig auf den Wandel warten, die meisten hofften darauf, dass jemand sie führe. Bei allen Übergangswehen mit der Regierung und dem Parlament, in denen viele Leute nicht wüssten, wie sie ihre Rolle ausfüllen sollen, kommt Ma Thida immer wieder zurück auf die Armee. Niemand wisse, welche Rolle die Armee aktuell spiele und was sie plane. „Wir dachten alle, das Militär ist die Regierung und die Regierung das Militär, aber ist es so?“ Spätestens seit die Generäle den Waffenstillstandsbefehl von Präsident Thein Sein ignorierten und die Soldaten im Kachin State weiter kämpften, liege die Frage auf dem Tisch. Der Oberkommandierende äußere sich nicht, die Militärs im Parlament sagten nichts, obwohl sie dort allein schon 25 Prozent der Sitze ohne Wahl bekommen haben. Was haben sie vor?

Am Montag verkündete die Regierung eine weitere Amnestie für 500 Gefangene. 15 davon sollen politische Gefangene gewesen, berichtet ein oppositionelles Studentenbündnis.

Und welche Rolle spielt die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi? „In den Friedensgesprächen bisher keine.“ Viele Birmanen sind deshalb unzufrieden. Es sei schwierig, Suu Kyi überhaupt zu erreichen, weil es in ihrer Partei keine zweite Führungsebene gebe, zudem gebe es innerparteilich eine Auseinandersetzung zwischen den neuen Jungen und der alten Riege. Nichtsdestotrotz sei die Lady, wie Suu Kyi daheim genannt wird, aus Sicht der Mehrheit der Menschen die Kandidatin für die Präsidentenwahl im Jahr 2015. Ingrid Müller

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