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Politik: „Die Opposition will keine Militärintervention“

Der syrische Reformer Salam Kawakibi setzt auf noch breitere Unterstützung des Aufstandes im Land

Der UN-Sicherheitsrat hat die Gewalt in Syrien verurteilt und das Regime zu Reformen aufgefordert. Sind sie zufrieden?

Natürlich nicht. Es ist eine sehr ängstliche und unbedeutende Erklärung. Nach fünf Monaten glaubt die Welt immer noch, dass das syrische Regime Reformen einleiten kann. Dabei ist mittlerweile eindeutig, dass das Regime nie daran gedacht hat. Wenn die Welt weiterhin auf Reformen drängt, verhöhnt sie die syrischen Demonstranten. Was mich am meisten schockiert hat, ist die russische Haltung: Moskau verurteilt die Gewalt von beiden Seiten. Also auch die Gewalt von Seiten der Toten. Das ist widerlich.

Die Erklärung bleibt also folgenlos?

Die Erklärung kommt in einem Augenblick, wo das Regime auf Zeit spielt. Es hat genau verstanden, das die internationale Gemeinschaft derzeit nichts tun kann und will und sich mit Verurteilungen und Reformaufrufen begnügen wird.

Was könnten die Welt und Europa tun?

Es gibt noch viele Guthaben von Regimekräften in Europa, die man einfrieren kann. Viele europäische Unternehmen arbeiten mit der Präsidentenfamilie zusammen. Zahlreiche Mitglieder der politischen Führung besitzen neben der syrischen auch eine europäische Staatsbürgerschaft. Wenn Indien, Brasilien und Südafrika, die einer Verurteilung des Regimes auch kritisch gegenüberstehen, überzeugt werden können, ständen Russen und Chinesen alleine und lächerlich da. Daran muss Europa arbeiten.

Sie kommen gerade von einer Konferenz in Doha, auf der syrische Intellektuelle aus dem In- und Ausland politische Visionen entwickelt haben. Wie sehen diese aus?

Wir brauchen keinen nationalen Dialog, sondern nationale Verhandlungen, um die Machtübergabe zu regeln. Die Macht sollte entsprechend der Verfassung übergeben werden: Der Vize-Präsident übernimmt und setzt Wahlen für eine konstitutionelle Versammlung an. Das Volk kann keinen Putsch machen, sondern eine Revolution, die im Idealfall das Regime zur Machtübergabe zwingt.

Ist es nicht unrealistisch, dass das Regime von selbst zurücktritt?

Im Augenblick noch. Aber wenn ganz Syrien auf der Straße ist, auch die Menschen, die bisher schweigen, würde sich das ändern. Das könnte der Fall sein, wenn sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert. Zudem stärkt die brutale Repression nur den Widerstand.

Die Mittelklasse in Aleppo und Damaskus hat bisher zugeschaut. Warum?

Eine Stütze des Regimes ist die Parasiten-Bourgeoisie, die durch Allianzen mit der Präsidentenfamilie oder dank der institutionalisierten Korruption ein Vermögen gemacht hat. Einen Teil der Mittelklasse wird man vom Regime lösen können. Bei einem harten Kern ist das unmöglich, weil die persönlichen und wirtschaftlichen Verstrickungen zu stark sind. Doch in der Diaspora haben schon viele Unternehmer die Seite gewechselt und unterstützen nun die Opposition: Sie schicken Mobiltelefone mit ausländischen Sim-Karten nach Syrien. Alle Nachrichten, die wir aus dem Land bekommen, werden damit übermittelt. Sie zahlen Geld an die Familien der Opfer.

Müssen nicht viele Syrer Angst vor Strafverfolgung nach einem Regimewechsel haben.

Ein Szenario wie im Irak lehnen die Syrer ab: Es wird keine Verfolgung, Bestrafung oder Entlassung aller Mitglieder der bisher regierenden Baath-Partei geben. Sie ist fester Bestandteil der politischen Landschaft Syriens und viele Mitglieder haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Bestraft werden sollen nur jene, die Blut an den Händen oder auf unlautere Weise finanziell profitiert haben.

Aber die Opposition hat keinen Führer?

Das würde auch keinen Sinn machen, denn er würde sofort erschossen.

Dennoch, braucht die Opposition nicht eine bessere Koordinierung?

Ein Komitee zur Nationalen Koordination wurde gegründet, besetzt mit Oppositionsveteranen. Aber die Jungen besprechen mit ihnen die Texte ihrer Kommunikees, bevor sie sie veröffentlichen. Es ist also falsch, dass es keine Verbindung zwischen der traditionellen Opposition und den Demonstranten gibt.

Was sind die Ziele der Opposition?

Alle sind sich einig in drei Punkten: keine Gewalt, keine Konfrontation der Religionsgemeinschaften und keine ausländische Militärintervention.

Welche Rolle spielen die Islamisten?

Die Islamisten in Syrien sind moderner als in anderen Ländern. Ihre Führer, die beim Treffen in Doha dabei waren, sind mit einem laizistischen und demokratischen System einverstanden. Aber natürlich gibt es auch radikale Islamisten. Das Regime selbst hat die Salafisten gefördert, um sie im Irak und im Libanon einzusetzen. Aber ihr Einfluss ist gering.

Wie lautet Ihre Vorhersage für die kommenden drei Monate?

Es wird mehr Opfer geben, aber keine Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem Beginn des Aufstandes am 15. März.

Das Interview führte Andrea Nüsse.

Salam Kawakibi ist politischer Analyst der Arab Reform Initiative in Paris. Er entstammt jener berühmten Familie in Aleppo, zu der der panarabische Vordenker Abdelrahman Kawakibi gehörte.

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