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Politik: Die Party ist vorbei

Die Türken sind schon vor dem 3. Oktober enttäuscht

Istanbul - Unvergesslich für die Türkei werde der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober, verspricht Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Landsleuten. Von einem historischen Datum ist die Rede. Trotzdem ist die Stimmung gedrückt. Das ewige Gerangel um Bedingungen, um die so genannte privilegierte Partnerschaft der CDU und nicht zuletzt um das Thema Zypern hat selbst EU-Enthusiasten am Bosporus entnervt. Die Türken gehen desillusioniert in einen Verhandlungsprozess, an dessen erfolgreichen Abschluss sie nicht mehr so recht glauben.

Nach den jüngsten Umfragen ist die Unterstützung der Türken für Europa innerhalb eines Jahres von 73 Prozent auf 63 Prozent gesunken. Das grundsätzliche Ja der EU zu Beitrittsverhandlungen im vergangenen Dezember löste in Ankara noch Jubel auf den Straßen aus. Inzwischen hat Ernüchterung eingesetzt. Der wichtigste Grund dafür ist der Stimmunsgwandel in Europa seit dem Scheitern der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden. Dass verschiedene EU-Regierungen fast schon verzweifelt nach Mitteln suchen, um eine türkische Mitgliedschaft zu verhindern, ist den Menschen nicht verborgen geblieben. „Es hat gar keinen Sinn, dass wir uns groß anstrengen“, sagt beispielsweise die Istanbuler Studentin Elif Hikmet Umut.

Wenn Erdogan heute die Beziehungen zur EU auf Eis legen würde, könnte er mit großer Unterstützung rechnen, schrieb der Kolumnist Semih Idiz kürzlich. „Es gibt eine wachsende Genug-ist-genug- Stimmung im Land.“

Nicht nur bei den einfachen Leuten ist das so. Auch die Regierung in Ankara hat den Eindruck gewonnen, dass die EU die Latte immer höher legt, um die Türkei draußen zu halten. „Die Stimmung in Ankara kippt“, bestätigt ein westlicher Diplomat in der türkischen Hauptstadt. Viele Politiker gingen angesichts des offensichtlichen Unwillens vieler EU-Staaten inzwischen davon aus, „dass sie die Mitgliedschaft eh vergessen können“. Von Aufbruchstimmung ist nichts zu spüren, im Gegenteil. Schon bald nach dem Beginn der Verhandlungen könnte es neue Krisen geben, am wahrscheinlichsten sind neue Probleme wegen des nach wie vor ungelösten Zypernkonflikts. „Vielleicht ist der 3. Oktober der Anfang vom Ende, und nicht das Ende vom Anfang“, sagt der Diplomat.

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