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Der menschliche Embryo. Künftig können in Deutschland genetisch vorbelastete Paare ihre im Reagenzglas erzeugten Embryonen auf mögliche Krankheiten untersuchen lassen.

© dapd

Emotional und grundsätzlich: Die PID-Debatte im Bundestag

37 Redner, vier Stunden Debatte – mit welchen Argumenten die Bundestagsabgeordneten über die umstrittene Präimplantationsdiagnostik stritten.

Berlin - Sie war die letzte von 37 Rednern, und auch wenn sie als Abgeordnete sprach, so war sie doch die einzige Ministerin aus der schwarz-gelben Koalition, die sich am Donnerstag zum Thema äußerte. Ursula von der Leyen, CDU, trat also um exakt 12 Uhr 49 vor das Mikrofon im Deutschen Bundestag, die Zuschauerreihen und das Plenum waren voll, und als sie so redete, wurde man von dem Gefühl erfasst, dass da eine Politikerin steht, der man das gewisse Gespür für den richtigen Moment nun wirklich nicht absprechen kann.

Natürlich ging es bei dieser Diskussion nicht um die Arbeitsministerin und schon gar nicht um ihre politischen Ambitionen, es ging um die Frage, ob man die umstrittene Präimplantationsdiagnostik, PID, per Gesetz in Grenzen zulassen oder verbieten soll. Doch dem letzten Redner wichtiger Debatten kann es gelingen, nochmals Akzente zu setzen, gerade wenn das Plenum müde ist von den sich oft wiederholenden Argumenten und der Vielzahl der Redner. Leyen schaffte es, Aufmerksamkeit zu gewinnen, als sie von ihren Erlebnissen als junge Ärztin auf einer Geburtsstation erzählte und sagte: „Die Wucht des Schicksals haben mich still werden lassen.“

Die Wucht des Schicksals könnte ohnehin nur derjenige an Leib und Seele spüren, sagte sie, die betroffen seien. Und diesen Menschen, den Paaren, die dann in der Verantwortung stehen, „vor Gott und dem ungeborenen Leben“, wie Leyen es ausdrückte, müsse man einen gesetzlichen Rahmen geben. Deshalb sei sie für die PID. Dann kam Leyens entscheidender Satz, der womöglich den einen oder anderen Zweifler überzeugte, dem Antrag der begrenzten Zulassung zuzustimmen: „Ein Totalverbot geht von einem bevormundeten Menschen aus, wir gehen von einem mündigen Bürger aus.“

Mit diesem letzten Satz – ein sicherlich schmerzhafter Satz für die Verbotsbefürworter in Leyens eigener Partei, zu denen seit letztem Jahr auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gehörte – traf sie den Kern der Debatte. Sie machte die Entscheidung zur Haltungsfrage: Grundsätzlich verbieten oder darauf vertrauen, dass die Verantwortung aller Beteiligten und der gesunde Menschenverstand groß genug sind, um Missbrauch einzugrenzen?

Welche Argumente in der Bundestagsdebatte vorgetragen wurden, lesen Sie auf Seite 2.

Tatsächlich war die fast vierstündige Diskussion geprägt von sehr strikten Haltungen, von festen Grundsätzen und harten Positionen. Oft wird in solchen Debatten von der besonderen Sachlichkeit und Besonnenheit gesprochen, Debatten um Ethik, Moral, Krieg oder Frieden gelten schon im voraus als „Sternstunden“ des Parlaments. Dabei gibt es den Parlamentarismus ja genau deshalb, um demokratisch miteinander zu streiten. Und genau in diesem Sinne verlief die Debatte, emotional und oft sehr grundsätzlich.

Der PID-Gegner Wolfgang Zöller (CSU) sagte, ein Embryo habe ein Recht, seiner selbst willen auf die Welt zu kommen, er sprach von „Selektion“, von „Zeugung auf Probe“, man benenne mit einem solchen Gesetz „Grenzen zwischen lebenswert und nicht lebenswert“. Auch Volker Kauder (CDU) und Wolfgang Thierse (SPD, die zu den Verbotsbefürwortern gehören, warnten vor „einem fundamentalen Paradigmenwechsel“ und vor einer, wie Thierse sagte, „Qualitätskontrolle des Lebens“. Die Grünen-Abgeordnete und PID-Gegnerin Birgitt Bender rief den Pro-PID-Leuten zu: „Das Hilfsversprechen, ein gesundes Kind zu liefern, ist der Wunschtraum von Bürokraten.“ Die PID-Befürworter wiederum, wie der Grüne Jerzy Montag, warfen ihren Kritikern vor, mit Begriffen wie „Selektion“ bewusst an die „dunkelsten Momente unserer Geschichte“ zu erinnern.

Immer wieder prallten die Formulierungen aufeinander, die im Kern lauteten: PID ist eine „Ethik des Helfens“, oder das PID-Verbot ist eine „Ethik des Lebens“. Volker Kauder fragte: „Wollen wir die Entscheidung, ob jemand Mensch ist, davon abhängig machen, ihn zu implantieren?“ Ulrike Flach, die den Gesetzentwurf zur begrenzten Zulassung vertrat, sagte: „Wer Wissen verbieten will, setzt Frauen schweren Konflikten aus.“ Manchmal wurde die Diskussion sehr persönlich, geprägt von eigenen Erlebnissen und Erfahrungen. Auf der Zuschauertribüne waren das oft die Momente, in denen die Aufmerksamkeit besonders hoch war, auch wenn manche Schilderungen an der Sache vorbeigingen und in solchen Analysen endeten: „Ein bisschen Gottvertrauen muss schon sein.“

Die größten Gegner in dieser Debatte gehören der gleichen Partei an. Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Spannend war die Debatte aber, wenn prominente Protagonisten aus einer Partei plötzlich gegeneinander antreten mussten, die im Plenum sogar nebeneinander sitzen. Bei der SPD traf es Karl Lauterbach und Andreas Nahles, wobei Lauterbach die vielleicht provokanteste Formulierung lieferte, indem er sagte: Wer den Embryo außerhalb des Mutterleibes als Mensch ansehe, vertrete eine religiöse Position. Eine solche Position sei politisch aber „völlig unhaltbar“, denn dann, sagte Lauterbach, wäre auch die Spirale, die die Frau zur Verhütung einsetzt, „Tötung des Menschen“.

Am Ende, als alle geredet hatten und die erste Auszählung der Abstimmung begann, herrschte das Gefühl vor, es werde wohl ein kleiner Abstimmungsmarathon, bis zu einem Ergebnis. In der ersten Abstimmung mussten die Abgeordneten über alle drei Anträge zugleich abstimmen. Vor der Debatte gegen 8 Uhr 45 hatte Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU), der selbst zu den Wortführern des Antrages für Verbot mit Ausnahmen gehörte, noch gesagt: „Ich hoffe auf einen breiten Konsens, so dass am Ende nicht der Eindruck einer zufälligen Mehrheit entsteht.“

Lammerts Befürchtung trat nicht ein, es gab auch keinen Wahlmarathon. 306 Abgeordnete hatten für das begrenzte PID-Gesetz gestimmt, 228 für das Verbot und 58 für das Verbot mit Ausnahmen. Im Plenum herrschte Stille, kein Jubel, kein Applaus, keine Missfallensbekundungen. Die anschließende Abstimmung über den gewählten Gesetzesentwurf war dann nur noch Formsache. Danach gab es auch Applaus, Ulrike Flach wurde umarmt, andere waren da schon längst auf dem Weg zum Ausgang. Auch Ursula von der Leyen. Sie lächelte.

Weitere Informationen zum Thema Künstliche Befruchtung finden Sie auf dem Such- und Beratungsportal "Gesundheitsberater-Berlin".

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