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Politik: Die Probe

Von Stephan-Andreas Casdorff

Sie sagt, ihre Politik sei alternativlos. Immer wieder sagt Angela Merkel das. Das klingt nach Mantra, nach Beschwörungsformel. Und es wird doch nicht besser. Weil es falsch ist. Zu jeder Politik gibt es eine Alternative. Wer will, kann das jeden Tag hören, von der FDP, den Grünen und der Linkspartei. Nur zu einem gibt es gegenwärtig keine Alternative: zu dieser Koalition. Jedenfalls nicht wirklich. Alle erdenklichen Dreiergebilde wären zerbrechlicher, der Vorrat an Gemeinsamkeiten wäre in jeder Konstellation geringer, die Durchsetzungsfähigkeit im Bundesrat auch. Beruhigend ist das nicht. Denn was gelingt ihr, dieser schwarz-roten Koalition?

Einfacher ist es, aufzuzählen, was sie getan, genauer: ihren Wählern angetan hat. Die kleine Liste der Schrecken: Die Mehrwertsteuer ist erhöht und eine Reichensteuer eingeführt, die Eigenheimzulage ist gestrichen, der Sparerfreibetrag und die Pendlerpauschale sind gekürzt. Von den Auswirkungen der Gesundheitsreform zu schweigen, dieser „Monster-Maus“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt. Aber darüber sind sie sich immerhin einig geworden, unsere großen Koalitionäre – über die Belastungen.

Worüber sie sich nicht einig sind, ist nicht weniger erschreckend: über die Reform des Arbeitsmarkts, die Mindestlöhne, eine weiter gehende Föderalismusreform, eine (große) Unternehmensteuerreform, eine Erbschaftsteuerlösung, den Atomausstieg, ein NPD-Verbot. Das alles kann zur Belastung werden, nicht nur zwischen ihnen. Es kann das gesamte politische Gefüge noch stärker belasten, als es nach den vergangenen Landtagswahlen schon ist.

Die Lage ist ernst, die Antworten müssen es auch sein. Sie müssen den Problemen angemessen sein. Und das Problem der großen Koalition liegt mehr in der Union als in der SPD – sagt kein Sozialdemokrat, sondern der Urvater des Generalsekretärs moderner Prägung, Heiner Geißler. Der Christdemokrat hat, wieder einmal, recht; so wie er recht hatte mit seinen Vorbehalten gegen den Bundestagswahlkampf, den neoliberalen, kalten, der zum Desaster führte. Denn, ja, es gibt eine Alternative zum jetzigen Kurs, der in die Agonie führen kann. Es gibt die Alternative, Mut und Stärke zu zeigen, sowohl nach außen, über die Koalition hinaus, als auch nach innen. Und nur dieser Mut sichert Merkel die Möglichkeit, mehr zu gestalten als zu verwalten.

Die SPD hat es gerade einfacher. Kurt Beck regiert sie an diesem Sonntag 147 Tage und damit länger als vor ihm Matthias Platzeck. Er steht in der Beliebtheit der Partei ganz vorne und in der Bevölkerung vor Merkel. Er vergrößert merklich seinen Einfluss, das ist seine Variante der Merkel’schen „Politik der kleinen Schritte“. Beck auf dem Weg zum gefühlten Bundeslandesvater, und das nach dieser kurzen Zeit? Mindestens das: Der Pfälzer ist auf dem Vormarsch.

Auch deshalb rät Geißler, der seine Pfälzer kennt, der unter Helmut Kohl Mehrheiten beschaffte, Merkel jetzt, in ihrer Partei Klarheit zu schaffen. Dafür muss sie kein Machtwort als Kanzlerin sprechen – angesichts unserer föderalen Struktur mit eigenen Länderregierungschef ohnedies nicht so einfach –, sondern die Machtfrage stellen: als CDU-Bundesvorsitzende. Und zwar den Länderchefs in ihrer Partei. Denn die stellen ihre Macht infrage. Die Oettingers und Wulffs und wie sie alle heißen, fehlen bei wichtigen Beratungen, legen den Hörer in Telefonaten vorzeitig auf, reden im Hintergrund düster über die Zukunft – alles an ihrem Verhalten zeigt, dass sie Merkel keine Autorität zubilligen. Und denken, die im Dunkeln sieht man nicht?

Da kann Merkel noch einmal die Methode Kohl anwenden. Der Parteitag ist das klassische Führungsinstrument des Parteichefs, nicht der Ministerpräsidenten, und Ende November müssen auch die sich mit ihren Parteiämtern zur Wahl stellen. Im Hellen. Wenn Merkel sie stellt, zeigt sie Mut und Stärke und wahrt ihre Chance. Die CDU wird ihr folgen, gehorsam, wie die Partei ist – aber nur, wenn sie führt. Denn das muss sie wissen: Auch zu ihr gibt es eine Alternative.

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