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Renitent. Die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko Ende Juni bei einer Anhörung vor Gericht. Den Gerichtspräsidenten beschimpfte sie als Hampelmann. Foto: dpa

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Politik: Die Rache der Blauen

Nach der Inhaftierung der früheren Premierministerin Julia Timoschenko gerät Ukraines Regierung unter Druck – Deutschland warnt vor politischer Justiz

„Freiheit für die politischen Gefangenen“ steht auf einem Transparent in der Kiewer Einkaufsmeile Chreschtschatik. Etwa 100 Anhänger von Julia Timoschenko hatten dort in der Nacht zum Samstag 20 Zelte aufgestellt. Sie reagierten auf die Festnahme der ukrainischen Oppositionsführerin am Freitagabend. Am Samstag stellte Timoschenkos Partei Bjut nach Angaben der ukrainischen Internetzeitung „Ukrainskaja Prawda“ zehn Plastikzelte dazu und verteilte Mineralwasser und Saft an die Passanten. Laut Bjut soll die Zahl der Protestierenden schnell anwachsen und die amtierende pro-russische Regierung noch im September verjagen.

Bis Sonntagmittag hatten sich allerdings nur knapp 200 Timoschenko-Anhänger in der Nähe des Zeltlagers eingefunden. Ein leiser Hauch von „oranger Revolution“ wehte dennoch durch Kiew. Zumal die „Blauen“, Anhänger des pro-russsichen Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch, in unmittelbarer Nähe mit ihren blauen Fahnen aufmarschierten. Inzwischen hat ein Gericht in der Nacht zum Sonntag sämtliche Proteste im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt bis Ende August untersagt. Um die Mittagszeit umstellten Sicherheitskräfte das Zeltlager der Opposition, allerdings ohne einzuschreiten. Die Timoschenko-Partei Bjut rechnet nach eigenen Angaben mit einer Räumung in der Nacht zum Montag.

Genauso hatte im November 2004 die „orange Revolution“ begonnen. Allerdings wuchs die Zahl der Demonstranten rund um ein Zeltlager auf dem Chreschtschatik schnell an, bald fanden sich Hunderttausende auf dem nahen „Platz der Unabhängigkeit“. Inzwischen haben sich ein paar weitere Oppositionsparteien auf die Seite der Timoschenko-Anhänger gestellt, darunter der Block von Witali Klitschko, der am Sonntag sein Boxkampf-Trainingslager wegen der Proteste kurzerhand absagte. Doch die Ukrainer sind nach den chaotischen „orangen“ Regierungsjahren von 2005 bis 2010 ziemlich desillusioniert.

Timoschenko, die sich seit Ende Juni vor Gericht wegen angeblichen Amtsmissbrauchs und Korruption verantworten muss, war am Freitagmittag unter Tumulten ihrer Anhänger von einem Riesenaufgebot an Sicherheitskräften ins Untersuchungsgefängnis gebracht worden. Der Gerichtspräsident begründete die Anordnung mit „systematischen Verstößen“ gegen die Prozessordnung. Zuvor hatte sich die einstige Frontfrau der „orangen Revolution“ und spätere zweimalige Premierministerin sechs Wochen lang standhaft geweigert, den Gerichtspräsidenten mit einer Ehrenformel anzusprechen und ihn stattdessen als Hampelmann Janukowitschs beschimpft.

In der Tat klingen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft reichlich konstruiert. Zur Last gelegt wird Timoschenko vor allem der Gasliefervertrag mit Russlands Ministerpräsidenten Wladimir Putin von 2009. Bei den Verhandlungen soll sie ihre Kompetenzen überschritten und der Ukraine einen Schaden von 150 Millionen Euro zugefügt haben. Ihr drohen zehn Jahre Gefängnis. Selbst bei einer Bewährungsstrafe kann Timoschenko weder für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr noch die Präsidentschaftswahlen 2015 kandidieren. Janukowitsch wäre seine wichtigste Herausforderin los.

Mit der Festnahme Timoschenkos scheint der neue starke Mann der Ukraine allerdings überzogen zu haben. Dutzende von Regierungen, darunter auch Deutschland und die USA, protestierten gegen die Festnahme und mahnten die Einhaltung der Menschenrechte in der Ukraine an.

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