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Politik: Die Schule als Jammertal

Von Gerd Appenzeller

Die Ergebnisse der zweiten PisaStudie liegen vor. Sie sind nicht berauschend, aber auch nicht so beklagenswert, wie sie hätten sein können. Schulisch bieten wir im globalen Vergleich weiter nur Mittelmaß, aber nunmehr auf gehobenem Niveau. Wir sind leistungsstärker geworden – nicht nur relativ, weil andere Nationen zurückgefallen sind, sondern auch absolut. Weltmeister bleiben wir im Jammern. Im Beweinen der eigenen Misere lassen wir uns nicht überbieten. Könnte es sein, dass unser ganzes Grämen um die Schulen auch etwas mit der deutschen Neigung zum Selbstmitleid zu tun hat? In Süddeutschland gibt es dafür eine einprägsame Formulierung: Wir beelenden uns selbst.

Warum denn? Ganz offenkundig haben Kultusbehörden und vor allem Lehrer aus den früheren Bildungsstudien gelernt. Aufgaben sind praxisnäher, der Unterricht ist besser geworden. Das Angebot an Ganztagsschulen wird laufend erweitert. Das ist vor allem für Kinder wichtig, die bislang keinerlei Hausaufgabenbetreuung erfahren. Ganz schlecht ist das deutsche Schulsystem immer noch überall da, wo es um die Förderung von Kindern aus unteren sozialen Schichten geht. Die beste Garantie für einen hohen Bildungsabschluss ist immer noch das Elternhaus. Das ist schön für jene Minderheit, die davon profitiert – und verheerend für die Mehrheit, deren Zugang zu Universitäten durch die ungleichen Startchancen erschwert wird. Die Ungerechtigkeit beginnt schon im Kindergarten. Der kostet die Eltern sehr viel Geld. Aber dafür sind ja die Universitäten gratis.

Die neue Pisa-Studie hat weder eine Patentantwort auf die Frage, ob Gesamtschulen der Schultyp der Zukunft sind, noch bietet sie eine Lösung im Kulturkampf, ob Kinder nun nach der vierten oder erst nach der sechsten Grundschulklasse aufs Gymnasium geleitet werden sollten. Ganz im Gegenteil: Der internationale Vergleich zeigt, dass es bei jedem Schultyp herausragende Leistungen und Versager gibt. Aber es gibt Hinweise, die man ganz un-ideologisch werten sollte. Etwa den, dass kleine finnische Gesamtschulen sehr gut arbeiten. Ob das auch für große Lernmaschinen mit mehr als 1000 Schülern gilt, ist offen. Mit welcher Klasse das Gymnasium beginnt, ist für die vom Schulwechsel betroffenen Schüler gleich. Aber den zurückbleibenden Kindern fehlen das Vorbild und der Ansporn der Leistungsstärksten. Das spricht dafür, Kinder möglichst lange gemeinsam zu unterrichten. In einer Zeit, in der Reformen eher gegen das Solidarprinzip laufen, wird das aber kaum durchzusetzen sein.

Dem deutschen Schulsystem fehlt Durchlässigkeit. Kinder, die zum Zeitpunkt des möglichen Schulwechsels ihre Leistungsfähigkeit noch nicht entwickeln konnten, oder die zu diesem Zeitpunkt unter einem vorübergehenden Leistungsknick leiden, sind dauerhaft benachteiligt. Auf ein deutsches Gymnasium zu kommen, ist nicht leicht. Auf ein gutes Gymnasium zu kommen, ist sogar ausgesprochen schwer, wenn das Kind nicht aus dem „richtigen“ Elternhaus kommt.

Nicht nur für Bildungsplaner, sondern auch für Lehrer, Kinder und deren Eltern enthält die Pisa–Studie Stoff zum Nachdenken. Wo Lehrer sich miteinander vernetzen statt als Einzelkämpfer zu operieren, klappt es besser. Aber in der Pädagogik gibt es nach wie vor kaum eine Leistungskontrolle. Und: Kinder müssen lernen wollen. Kein Direktor und kein Lehrer kann Faulheit und Apathie ausrotten. Aber um diesen Jammer zu erkennen, braucht man keine Pisa-Studie.

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