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Cem Özdemir, Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, und die Fraktionsvorsitzende der Partei im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, führen ihre Partei in den Bundestagswahlkampf

© dpa

Schlechte Umfragewerte: Die Schwäche der Grünen

Die Partei hat sich zuletzt stark mit sich selbst beschäftigt. Wenn die Grünen aus dem Umfragetal herauskommen wollen, müssen sie mehr Relevanz beweisen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Cordula Eubel

Als die Grünen sich vor 37 Jahren gründeten, ahnte wohl kaum einer, wie stark sie einmal das Land verändern würden. Heute ist der Atomausstieg beschlossen und politische Mehrheiten für dessen Umkehrung sind nicht in Sicht. Auch wenn man sich die Bevölkerung anschaut, ist Deutschland ganz schön grün geworden. Zwei Beispiele: Jeder vierte Verbraucher greift häufig oder regelmäßig zu Biolebensmitteln, in den Großstädten sogar mehr. Ähnlich sieht es beim Ökostrom aus.

Doch in den Umfragen dümpeln die Grünen aktuell bei Werten zwischen sechs und acht Prozent herum. Dabei hatten viele schon von der neuen Volkspartei gesprochen, als die Grünen nach der Atomkatastrophe von Fukushima in der Beliebtheit deutlich zulegen konnten. Davon kann heute keine Rede mehr sein, mit Ausnahme von Baden-Württemberg, wo sie zur stärksten Kraft geworden sind. Mit Winfried Kretschmann regiert dort ein Ministerpräsident, der auch deshalb so beliebt ist, weil er in unübersichtlichen Zeiten Orientierung bietet.

Die schlechten Umfragewerte im Bund haben natürlich mit Martin Schulz zu tun. Dem SPD-Kanzlerkandidaten gelingt es, rot-grüne Wechselwähler anzusprechen. Doch die Schwäche ist auch hausgemacht: Die Partei, die seit der Niederlage bei der letzten Bundestagswahl auf der Suche nach dem richtigen Kurs ist, hat sich in den letzten Monaten stark mit sich selbst beschäftigt. „Wir bleiben unbequem“, lautete das Motto des letzten Parteitags – es diente der Selbstvergewisserung einer verunsicherten Partei. Für treue Stammwähler mag das vertretbar sein. Um in die Gesellschaft auszugreifen, taugt es aber nicht.

Warum können die Grünen das Momentum nicht nutzen?

Dabei sind es gerade politische Zeiten, die für die Grünen wie gemacht scheinen. Der Diesel-Skandal zeigt, wie notwendig die Verkehrswende ist. Die Digitalisierung der Wirtschaft wirft die Frage nach dem Datenschutz neu auf. Und die Nachricht von der rasanten Eisschmelze in der Arktis ist nicht der einzige, aber ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie wichtig der ökologische Umbau der Wirtschaft ist. „Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen der Klimakrise spürt – und die letzte, die etwas dagegen tun kann“, heißt es mit Pathos im Entwurf für das grüne Wahlprogramm.

Doch warum gelingt es den Grünen bisher nicht, dieses Momentum zu nutzen? Die Schwäche der Partei könnte auch daran liegen, dass es ihr nicht mehr so leicht fällt, Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten. Die Grünen sind nicht die einzigen, die Europa in der Krise verteidigen. Sie sind auch nicht die einzigen, die ein liberales und offenes Gesellschaftsmodell in Schutz nehmen gegen die Kräfte, die es in den westlichen Demokratien derzeit infrage stellen.

Wenn die Grünen aus dem Umfragetal herauskommen wollen, müssen sie Relevanz beweisen. Sie müssen den Bürgern wieder den Eindruck vermitteln, dass sie für ihre Probleme da sind. Und sie müssen ihnen erklären, warum die Entkopplung des Wohlstands vom Ressourcenverbrauch die Basis auch für ihre Zukunft ist. Doch es geht nicht nur um die Inhalte, sondern auch um Haltung: Viele Menschen wollen mitgenommen und nicht durch allzu kluge Ratschläge genervt werden. Sie müssen das Gefühl haben, dass jemand – geleitet von Grundsätzen – pragmatisch Politik machen will. Sollten die Grünen das ausstrahlen, sind sie ganz und gar nicht überflüssig.

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