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Politik: Die SPD ist unser Spiegel

WESSEN KRISE?

Von Bernd Ulrich

Die ungefähr richtige Politik, handwerklich miserabel gemacht und noch dazu schlecht erzählt – so könnte man das sozialdemokratische Bemühen zurzeit summieren. Wenn diese Analyse stimmt, könnten alle, die keine Genossen sind, ziemlich zufrieden sein. Dann hätte sich die SPD auf dem Altar der Reformen selbst als Opfer dargebracht. Man würde sie in aller Ruhe abwählen, mit einer Träne im Knopfloch, und dann: nächste Regierung, neues Glück.

Leider hat die Sache zwei Haken. Zum einen kann die SPD aller Voraussicht nach erst im Jahr 2006 in die Opposition geschickt werden, das Land verlöre also mit einer handlungsunfähigen Regierung drei Jahre. Zum anderen ist nicht nur die SPD schuld an der Krise der SPD. Dass die Partei jetzt so weit unten ist wie nie und die Parteiführer so vollkommen ratlos, das hat mit dem Land mehr zu tun, als man sich das wünschen kann.

Im vergangenen Jahr, als die innerparteiliche Linke Seit’ an Seit’ mit den Gewerkschaften gegen die Agenda 2010 kämpfte, da ließ sich noch leicht lamentieren, die verstaubte und verstockte SPD wehre sich halt gegen die schmerzhafte Modernisierung und mache so ihre eigene Politik schlecht. Doch mittlerweile hat die Basis alles geschluckt, was von oben kam. Und die Linke hat das Kämpfen sowieso eingestellt. Nur der Wähler honoriert die Agenda immer noch nicht, er braucht auch keine Linken mehr, um die Politik der Regierung Schröder vehement abzulehnen.

Liegt das an den viel zitierten handwerklichen Fehlern der Regierung? Sicher auch. Doch was soll denn der tiefere Grund für diese Fehler sein? Das sind ja alles keine Anfänger mehr. Und allein auf den Mangel an Koalitionsrunden kann das Chaos wohl kaum zurückzuführen sein. Nein, der Hauptgrund für das, was als handwerkliche Schwäche wahrgenommen wird, liegt beim Verhältnis von Politik und Medien. Sie, also wir, haben das Nachrichtenumschlagstempo so erhöht, die Räume der Diskretion zerstört, den Unterschied zwischen Idee, Plan, Beschluss und Gesetz so verwischt, dass unablässig der Eindruck von Durcheinander entsteht. Das ist für eine Politik, die wegen ihrer Härte und ihrer unvermeidlichen Komplexität ohnehin schwer zu vermitteln ist, fatal. So entsteht eine neue Politikverdrossenheit, auf die ein Teil der Medien, die ja Tag für Tag und Woche für Woche am Kiosk Politik verkaufen müssen, mit sich ständig verschärfendem Politiker-Ekel und mit forcierter Dauerempörung reagiert, heute über das Zuwenig, morgen über das Zuviel an Reformen.

Und die Vision, der Zusammenhang, die Erzählung? Ohne Zweifel liegt es am Kanzler, dass er seine saure Politik nicht mit Sinn versüßen kann. Aber nicht nur. Schließlich hört man auch sonst nicht sehr viele große Lieder über Deutschland, weder von anderen Politikern, noch von Intellektuellen, nicht einmal von jenen Journalisten, die diese Erzählung am leidenschaftlichsten einfordern. Die Sehnsucht nach Orientierung und Sinn ist offenbar weit größer als die gesellschaftliche Fähigkeit, Sinn zu vermitteln und Orientierung zu geben.

Es liegt also nicht an der SPD allein, nicht einmal in erster Linie an ihr. Es sind auch nicht die Eliten schuld, die Politiker und die Banker. Oder, wenn doch, dann alle Eliten: die in den Universitäten, die in den Medien. Derzeit dient die SPD der ganzen Republik als Sündenbock. Man muss deswegen mit ihr kein Mitleid haben, immerhin hat die Partei vieles beigetragen zu ihrer Misere. Doch soll niemand glauben, dass die deutsche Krise aufhört, wenn nur die Genossen genügend leiden. Dass die Probleme kleiner werden, wenn nur die SPD schrumpft. Oder auch, dass die Wende gelingt, wenn der Kanzler endlich dies oder das tut oder das Gegenteil. Oder das Kabinett umbildet.

Mehr Mut, mehr Arbeit, mehr Eigenverantwortung, mehr Risiko, mehr Initiative, mehr Orientierung – dieser Appell, der schon fast zur Litanei geworden ist, richtet sich an alle, nicht nur an die Politik oder gar nur an die SPD. Die sieht nicht zuletzt deshalb so schlecht aus, weil der Wähler und die Medien sie so zugerichtet haben. Die SPD ist nicht unser Gegenüber, sie ist unser Spiegel.

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