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Auf dem Prüfstand. Das Bundesverfasssungsgericht will prüfen, ob Privilegien für Betriebserben rechtens sind.

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Vor dem Urteil zur Erbschaftsteuer: Die Steuerfreiheit für Konzern-Erben ist ungerecht

Am Mittwoch entscheidet das Verfassungsgericht zur Erbschaftsteuer. Zu hoffen ist, dass die vollständige Verschonung von Betriebsvermögen fallen wird. Denn es sind nicht die Superreichen, sondern überwiegend Menschen aus der Mittelschicht, die den Großteil der Erbschaftsteuer zahlen. Ein Gastkommentar.

Am kommenden Mittwoch wird das Verfassungsgericht über die Erbschaftsteuer urteilen. Die vollständige Verschonung von vererbtem Betriebsvermögen wird dabei voraussichtlich für verfassungswidrig erklärt werden. Dafür gibt es gute Gründe. Die Konzentration von geerbtem Vermögen nimmt zu und ist in Deutschland besonders hoch. Bei der mündlichen Anhörung in Karlsruhe fielen ungewöhnlich drastische Worte. Die vollständige Steuerbefreiung von Betriebsvermögen sei eine „Subventionierung des Großkapitals“, so die Einschätzung des Verfassungsrichters Reinhard Gaier.

Es sind nicht nur die Erben von mittelständischen Unternehmen, die von der Erbschaftsteuer völlig befreit werden können. Auch die Erben von Dax-Konzernen müssen keinen Euro zahlen. Den öffentlichen Haushalten entgingen dadurch bis 2012 insgesamt 19,1 Milliarden Euro. Verantwortlich ist die erste Große Koalition unter Merkel, die 2009 umfangreiche Verschonungsregeln für Betriebsvermögen einführte. Die Folge: Es sind nicht die Superreichen, sondern überwiegend Geschwister, Unverheiratete und Nicht-Verwandte aus der Mittelschicht, die den Großteil der rund 4,5 Milliarden Euro Erbschaftsteuer jährlich aufbringen. Man muss nicht vor Neid platzen, um solche Zustände anstößig zu finden. „Und das soll gerecht sein?“, fragte sogar die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in ihrer letzten Ausgabe.

28 Prozent der Multimillionäre verdanken ihre Stellung allein ihrem Erbe

Das Betriebsvermögen macht nur knapp ein Viertel des Gesamtvermögens aus. Mit ungefähr zwei Drittel hat es aber den Löwenanteil an den großen Erbschaften über 2 Millionen Euro. Die weitreichende steuerliche Verschonung von Betriebsvermögen trägt somit zur laufenden Kapitalkonzentration bei. Dieser Prozess wurde vom französischen Professor Thomas Piketty in seinem Buch ‚Das Kapital im 21. Jahrhundert‘ ausführlich beschrieben.

Neue Zahlen der Marktanalysten von Wealth-X und der Schweizer Großbank UBS weisen hierbei auf eine unrühmliche Spitzenposition Deutschlands hin: Die deutschen Multimillionäre machen nur 0,02 Prozent der Bevölkerung aus, besitzen aber 22,6 des gesamten Vermögens. Erbschaften sind ein relevanter Teil ihres Reichtums. 28 Prozent der Multimillionäre verdanken ihre Stellung allein ihrem Erbe, bei weiteren 31 Prozent ist es eine Mischung aus Erbe und eigenem Verdienst. Nur in der Schweiz spielt die eigene Lebensleistung beim Besitzerwerb eine ebenso geringfügige Rolle. Oder anders gesagt, die deutschen Superreichen zehren auf besondere Weise vom Erfolg ihrer Vorfahren.

Thomas Piketty warnt vor der Zersetzung der Demokratie, wenn der soziale Aufstieg durch eigene Arbeit stark limitiert wird. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass die Konzentration von Unternehmensbeteiligungen und wirtschaftlicher Macht auch den ökonomischen Wettbewerb gefährdet. Welche Dominanz heute von den Großkonzernen ausgeht, wird in globaler Perspektive deutlich. Eine Netzwerkanalyse der ETH Zürich, die Unternehmensverflechtungen weltweit untersucht, deckt ein Kraftzentrum der globalen Wirtschaft auf: die sogenannte „Supereinheit“. In ihr befinden sich 147 Unternehmen, die sich durch wechselseitige Beteiligungen gegenseitig besitzen und kontrollieren. 0,3 Prozent der Unternehmen beeinflussen auf diese Weise 40 Prozent aller Unternehmenswerte. Und das ist nur die absolute Weltspitze. Gegenüber dieser enteilten Oligarchie verliert der Mittelstand zunehmend an Konkurrenzfähigkeit. Mein Kollege Gerhard Schick hat diese Spaltung als „Machtwirtschaft“ bezeichnet. Deren Einfluss reicht weit über das Marktgeschehen hinaus.

In den USA lässt sich beobachten, welchen Schaden die Demokratie nimmt, wenn Politik und Kapital sich zu eng binden. An den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 beteiligten sich gerade einmal 53 Prozent der Wahlberechtigten. Ein Grund für dieses breite Desinteresse ist der Ruf der Käuflichkeit, der die amerikanische Politik aufgrund umfangreicher Wahlkampfspenden umgibt. Auch wenn die interessengeleitete Einmischung der Superreichen in Deutschland kein etabliertes Kulturgut ist, kann ich auch im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages ähnliche Mechanismen beobachten. Mit der Mövenpick-Steuer hatte die FDP damals den Anfang ihres unrühmlichen Endes eingeleitet. Auch die CDU ist bereits durch fragwürdige Verbindungen zu Unternehmen aufgefallen. Dass sich die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel per Anruf in Brüssel für großzügigere CO2-Grenzwerte für Autos engagierte, sorgte im Licht der nachträglichen Großspende der BMW-Eigentümerfamilie Quandt für einige Irritationen.

Durch TTIP drohen sich die Kräfteverhältnisse weiter zu verschieben

Durch die Freihandelsabkommen TTIP und CETA drohen sich die Kräfteverhältnisse weiter zu verschieben. Investor-Staat-Klagen, die bisher in den Abkommen vorgesehen sind, könnten der europäischen Politik die Mittel nehmen, transnationale Konzerne zu kontrollieren. Der Mittelstand wird hingegen nicht dazu fähig sein, die erforderlichen Millionenbeträge auszugeben, um Gesetze auf internationaler Ebene juristisch zu attackieren.

Die Ungleichheit des Kapitalbesitzes ist groß und nimmt weiter zu. Damit werden aber auch die Argumente derjenigen verständlicher, die sich für eine Wiedereinsetzung der Vermögensbesteuerung engagieren. Gleiches gilt für eine neuerliche Reform der Erbschaftsteuer, die für einen zielgenaueren Schutz von Arbeitsplätzen und mittelständischen Betrieben sorgen muss. Das Verfassungsgericht wird dies voraussichtlich deutlich anmahnen. Der Gesetzgeber ist gut beraten diesen Impuls aufzunehmen. Das wäre immerhin ein Anfang, um die doppelte Konzentration von Macht und Vermögen zu beschränken. Es steht dabei auch der demokratische Charakter der Wirtschaftsordnung auf dem Spiel: Einerseits muss die staatliche Gestaltungskraft gestärkt werden, um einen Gegenpol zu den Großkonzernen zu erhalten. Andererseits beruhen auch wirtschaftliche Innovationen auf den berechtigten Erwartungen von Unternehmern, auf dem Markt bestehen zu können. Der faire Wettbewerb leidet, wenn die kapitalstarken Marktteilnehmer auch noch politisch überprivilegiert werden. In diesem Sinne geht es in Karlsruhe auch um die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft.

Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete der Grünen.

Lisa Paus

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