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Politik: Die Uhren werden gestellt

Im Windschatten der Regierungskrise klären sich auch in der Union die Fronten. CSU-Chef Edmund Stoiber hat sich erstmals offen, wenn auch in kleinem Kreis, bereit erklärt, als Kanzlerkandidat anzutreten.

Von Robert Birnbaum

Im Windschatten der Regierungskrise klären sich auch in der Union die Fronten. CSU-Chef Edmund Stoiber hat sich erstmals offen, wenn auch in kleinem Kreis, bereit erklärt, als Kanzlerkandidat anzutreten. Das Bekenntnis bleibt vorerst ohne sichtbare Folgen, weil die Regierung bekanntlich nicht zerbrochen ist. Aber führende Politiker von CDU und CSU geben sich überzeugt: "Da ist eine Vorentscheidung gefallen." Stoibers Bekenntnis, er werde, wenn auch die CDU ihn bitte, als Herausforderer von Kanzler Gerhard Schröder antreten, datiert von Mittwochabend. Stoiber hatte sich nach dem Strategiegespräch mit den Spitzen von CDU und CSU in Berlin noch mit seinem Generalsekretär Thomas Goppel und CSU-Landesgruppenchef Michael Glos zusammengesetzt. In der großen Runde von CDU und CSU, in Anwesenheit von CDU-Chefin Angela Merkel, war die K-Frage nicht zur Sprache gekommen.

In der kleinen Runde der Christsozialen anschließend dafür um so deutlicher. Für den Fall, dass die rot-grüne Regierung platze und die Union für rasche Neuwahlen einen Kandidaten brauche, stehe er bereit, verkündete Stoiber seinen Zuhörern. Die waren mäßig überrascht. Tatsächlich hatte der CSU-Chef schon seit Tagen grünes Licht dafür gegeben, Hinweise auf seine wachsende Bereitschaft zu streuen. Öffentlich blieben die Andeutungen wegen der Regierungskrise eher unbemerkt.

Unter den Abgeordneten von CDU und CSU hatte sich die Neuigkeit dann am Freitag herumgesprochen. Auch sie waren mäßig überrascht. "War doch klar, dass überhaupt nur Stoiber in Frage gekommen wäre", sagt ein Mitglied der Fraktionsführung. Selbst Parlamentarier, die an sich der CDU-Chefin näher stehen als dem konservativen Bayern, sehen Merkel bis auf Weiteres chancenlos. "Wenn sie sich heute selbst ins Spiel bringen würde, müsste sie mit offener Rebellion rechnen", sagt ein Abgeordneter in der Reichstagslobby, während im Plenarsaal der Außenminister seine Grünen beschwört, die Koalition nicht platzen zu lassen.

Ob Merkel überhaupt versucht hätte, sich im Fall der Fälle ins Spiel zu bringen, ist eher ungewiss. In ihrem engeren Umkreis wird nicht ausgeschlossen, dass die CDU-Chefin in realistischer Einschätzung ihrer Lage bei dem für Freitag vorsorglich eingeplanten Krisentreffen mit Stoiber von sich aus verzichtet hätte. Das ließe ihr eine gewisse Chance für die eigene Zukunft - sie würde nur als halbe Verliererin aus dem Kandidatenwettstreit hervorgehen. Aber warum dann der Redner-Streit? Merkel hat nämlich - vergebens - versucht, in der Debatte zur Vertrauensfrage für die Union zu sprechen. Ihre Forderung, als erste Rednerin unmittelbar nach dem Auftritt des Kanzlers platziert zu werden, scheiterte aber daran, dass Fraktionschef Friedrich Merz diese Pole-Position mit dem Recht des Oppositionsführers beanspruchen konnte. Sachsens Regierungschef Kurt Biedenkopf war schon länger als Redner gemeldet, aus Balancegründen war Glos als Vertreter der CSU unverzichtbar. Am Donnerstagabend wollte Biedenkopf auf einmal nicht mehr. Volker Rühe, tief in der Nacht um Aushilfe gebeten, lehnte dankend ab: So kurzfristig - nein danke! Eine Anfrage bei Merkel aber blieb ebenfalls vergebens: Als dritte in der Reihenfolge - nein danke. So musste Biedenkopf doch ran.

Merz hat übrigens seine Sache am Rednerpult besonders gut gemacht - so gut, dass seine Fraktion nicht nur im Plenum stehend Beifall spendete, sondern ihn auch in der Fraktionssitzung nach der Vertrauensabstimmung stürmisch feierte. Eine Ovation, mit der sich ganz nebenbei auch die Spekulation erst einmal erledigt haben dürfte, Merkel könnte als Entschädigung für den K-Verzicht den Fraktionsvorsitz anstreben.

In der allgemeinen Feierstimmung ist der Abgeordnete Wilhelm Sebastian aufgestanden, Sprecher der "Gruppe 94" und treuer Anhänger Helmut Kohls, und hat gefordert, da man ja ohnehin schon so gut wie dabei gewesen sei, könne die Union den Kanzlerkandidaten doch sofort bestimmen. Merkel und Stoiber widersprachen. Sebastian sei ein alter Hase, aber diesem Rat folge man nicht, sagte Merkel. Stoiber entgegnete, er lasse sich den Zeitplan zur Kandidatenkür nicht von der SPD und den Medien diktieren. Merkel und Stoiber halten anschließend auch öffentlich am Zeitplan fest.

Das Interesse beider ist klar: Merkel mag darauf hoffen, dass in zwei Monaten alles anders aussieht, Stoiber mag nicht jetzt schon ins Scheinwerferlicht geraten. Aber zählen solche Wünsche noch? "Wir können die Uhr nicht zurückstellen und so tun, als wäre nichts gewesen", sagt ein Mitglied des CDU-Präsidiums. Dass sich das Bewerberfeld verändert habe, werde Folgen haben. Bisher glaubten viele mit guten Gründen, Stoiber wolle nicht antreten. Das hat sich erledigt: "Man kann selbst in Bayern sein Zögern nur ein für allemal aufgeben", sagt ein CDU-Politiker.

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