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Politik: Die vergessene Lehre

Die rechtsradikale Chrysi Avgi wird im krisenmüden Griechenland immer mächtiger. Auch die 89-jährige Maria gab der Partei ihre Stimme. Als wüsste sie nicht, was Faschismus anrichten kann.

Ihr junges Glück ist schnell vorbei. Kurz nachdem Maria und Petros geheiratet haben, kommt für ihn der Einberufungsbefehl in die griechische Armee. Die Deutschen sind da, die Nazis auf ihrem Balkanfeldzug. Es ist das Frühjahr 1941.

Maria bleibt allein zurück in ihrem kleinen Dorf auf dem Peloponnes, der Halbinsel im Süden des Festlands. Es dringen immer wieder schlimme Nachrichten zu ihr vor. Nachrichten von Massakern, die von den Deutschen angerichtet werden. Von Kalavryta, wo die Deutschen alle Bewohner zusammenriefen und dann die Männer vor den Augen ihrer Familien erschossen. Kalavryta ist nicht weit weg von da, wo Maria lebt. Monate währt die Angst. Die Angst um ihren Mann, ihre Familie, ihr eigenes Leben. Sie hungert, weil einfach „nichts da war, nichts“. Irgendwann hört Maria, dass Petros lebt. Dass er nach Kreta geschickt wurde, wo sich der Himmel schwarz färbt, als die deutschen Fallschirmjägerverbände kommen. Irgendwann erfährt sie, dass ihr Bruder tot ist. Von den Deutschen an den Strand geführt und dort erschossen. Irgendwann sieht sie ihren Mann wieder. Und irgendwann ist es dann vorbei.

Wenn Maria Konstantopoulou von damals erzählt, wird ihre Stimme ganz leise, als möchte sie die alten Geschichten selbst nicht mehr hören. Sie hat den Faschismus überlebt. Sie weiß, was er anrichten kann. Aber es war eine Lehre, die kein Leben lang hielt.

Maria Konstantopoulou, inzwischen fast 90 Jahre alt, hat bei den Parlamentswahlen von 2012 ihre Stimme der Partei Chrysi Avgi gegeben. Jener Partei, die in der Erhaltung der „weißen Rasse“ ihre Aufgabe sieht, die „Griechenland den Griechen“ fordert und von „Säuberungen“ spricht. Jener Partei, deren plötzlicher Erfolg mitten in der Euro-Krise die etablierten Eliten aufschreckte wie kaum eine andere Nachricht. Mehr als 440 000 Stimmen hat Chrysi Avgi bei den Juni-Wahlen 2012 bekommen. Sie kamen von Menschen, die in Gegenden leben, in denen die sozialen Umbrüche unübersehbar geworden sind, die ein Zeichen setzen wollten, oder von – wie Studien ergaben – Polizisten, Mitarbeitern von Sicherheitsdiensten, Türstehern oder aus der Nachtklubszene. Aus was für Gründen auch immer, gewählt haben sie eine Partei, deren 18 Abgeordnete beim ersten gemeinsamen Auftritt im griechischen Parlament gleichzeitig den rechten Arm hoben und die Hand zur Faust ballten.

„Ich war schon immer patriotisch eingestellt und wählte rechts außen“, sagt Maria Konstantopoulou, die hübsch zurechtgemacht bei Tee und Gebäck in ihrem Wohnzimmer in der peloponnesischen Hafenstadt Patras sitzt. „Rechts außen“ heißt für sie: Recht und Ordnung. Und Patriotismus: die Liebe zum Vaterland. In der Vitrine und dem Eckschrank ihres „Salonis“ sind Tassen und Teller drapiert, auf denen das letzte griechische Königspaar abgebildet ist: König Konstantin II. und seine Frau Anne-Marie. Kronen in unterschiedlicher Größe zieren die Holzkommode neben dem Esstisch am Fenster. Als Konstantin II. 1964 den Thron bestieg, gab es eine regelrechte Euphorie im Land, die damals auch Maria ergriff. Der schillernde Thronfolger – in dessen Adern kaum griechisches Blut floss – war Olympiasieger im Segeln und avancierte zum Liebling der königstreuen Bevölkerung. In seiner Rede vor dem Parlament sagte er: „Ich möchte der König aller Griechen sein, unabhängig von ihren politischen Schattierungen. Meine Macht ist die Liebe des Volkes.“ Das hat Maria Konstantopoulou nachhaltig beeindruckt. Sie bezeichnet sich selbst als Royalistin. Das passt zu der Region am Peloponnes, in der Maria aufwuchs, die gilt in Griechenland als königstreu. „Meine Generation hatte das Glück, die Königsherrschaft noch erlebt haben zu dürfen“, sagt die alte Dame. Ökonomisch und gesellschaftlich sei es dem Land damals gut gegangen. Doch das ist lange her. Die Schuld am Niedergang Griechenlands gibt Maria Konstantopoulou der Demokratie mit ihren gewählten Machthabern. Die seien einer schlimmer als der andere gewesen, sie hätten das Land heruntergewirtschaftet, hätten nur an sich gedacht und nicht – wie der König damals – an das Volk.

Bis vor einem Jahr hat Maria Konstantopoulou ihre Wählerstimme stets der konservativen Partei Nea Demokratia gegeben, in der sie das kleinste Übel sah. Aber 2012 reichte ihr das nicht mehr. 2012 waren die Zustände radikal anders, da war ein kleinstes Übel kein Argument mehr. Und so wurde Maria Konstantopoulou zu einer typischen Wählerin der Chrysi-Avgi-Partei – die viel Zustimmung und Unterstützung bei jenen findet, die verunsichert und verängstigt sind durch die aktuellen Zustände im Land. Durch die Veränderungen, die meist Verschlechterungen sind.

Das Stadtbild von Patras habe sich verändert, sagt auch Maria Konstantopoulou und seufzt. Früher sei sie gerne durch die Straßen flaniert, doch seien dort jetzt so viele Fremde. Eine regelrechte Welle von Migranten würde am Hafen angespült. Die wüssten ja auch nicht, wohin, aber es seien einfach zu viele für Griechenland. Oft höre man inzwischen von Überfällen. Dazu die ganze Armut, Menschen wühlen in Abfallcontainern nach Essbarem, das gab es früher nicht. Griechenland verwahrlose, und die Regierung unternehme nichts. Das Einzige, was sie tue, sei sparen. Maria Konstantopoulou macht das alles Angst. Die Fremden, das Elend, das Sparen. Sie sieht im eigenen Haus, was das bedeutet.

Marias Mann Petros ist heute 94 Jahre alt und schwer krank. Er liegt im Schlafzimmer nebenan. Nachdem er vor ein paar Monaten gestürzt ist, sitzt er nun im Rollstuhl. Der alte Mann braucht täglich eine Pflegehilfe. Die gemeinsame Rente von 1200 Euro reicht für das Wohnen, Essen und die medizinische Versorgung kaum noch aus, allein für Medikamente müssen die Eheleute mehr als 250 Euro monatlich ausgeben. Nichts wird auf Rezept ausgegeben, alles muss per Vorkasse bezahlt werden. So ist die Lage. Und es helfe kaum noch jemand, sagt Maria Konstantopoulou. Außer eben Chrysi Avgi.

Die Partei organisiert Essensausgaben für Bedürftige, begleitet Schulkinder nach Hause und gibt alten Menschen Geleit beim Gang zum Geldautomaten. Das hat auch Maria Konstantopoulou schon in Anspruch genommen. Das seien gute Jungs, die sich fürs Land und für die Bevölkerung einsetzten, sagt sie und strahlt. Zuerst habe sie ein guter Freund und ebenfalls Anhänger der Partei immer zum Geldautomaten begleitet. Der sei nun zwar weggezogen, habe ihr aber die Telefonnummer eines Parteikollegen gegeben, der würde sie gerne begleiten. „Ich rufe den jungen Mann an, vereinbare mit ihm eine Uhrzeit und er kommt mich immer pünktlich abholen“, sagt die alte Dame zufrieden. Auf die Chrysi Avgi könne man sich eben noch verlassen. Die seien da, wenn man Hilfe brauche. Sie sagt: „Da kümmert sich endlich einer und übernimmt direkte Verantwortung.“

So sieht es das Konzept der Partei vor. An der Basis unter Griechen Vertrauen erwerben. Das sinngemäße Motto ist: Wir haben nicht für alle etwas – und darum helfen wir zuerst den eigenen Leuten, den Griechinnen und Griechen.

Durch die Mitglieder der Chrysi Avgi fühlt sich Maria Konstantopoulou beschützt. Dass ihre Sicherheit umgekehrt die wachsende Unsicherheit der anderen meint, blendet sie aus. Vielleicht weiß sie es wirklich nicht: dass der junge Mann, der sie zum Bankautomaten geleitet, möglicherweise derselbe ist, der später am Abend mit Messern bewaffnet auf Ausländer losgeht und zusticht, wenn er einen erwischt.

Seit Chrysi Avgi im Juni ins griechische Parlament eingezogen ist, steigt die Zahl der Übergriffe auf Ausländer und Migranten im Land. Maria Konstantopoulou ist, darauf angesprochen, erschrocken. Sie sei selbstverständlich gegen Gewalt. Aber dennoch: Sie fühlt sich vor die Frage gestellt, wessen Zukunft gesichert werden soll, ihre oder die eines Fremden. Dabei sagt sie nicht „ich“, sie sagt: „unser Land“. Sie sagt: „Chrysi Avgi sind die Einzigen, die sich national gesinnt präsentieren. Die setzten sich für unser Land ein.“ Sie bezeichnet die Chrysi Avgi auch nicht als neofaschistisch, das klingt doch zu verabscheuungswürdig und passt nicht zu einer zivilisierten griechischen Bürgerin. Aber: Eine Partei in dieser Zeit müsse eine deutlich patriotische Linie verfolgen, erklärt sie noch mal ihre Wahl. Sie müsse klar zeigen, dass sie sich für das Land einsetze. Eine taugliche Partei im heutigen Griechenland müsse mit strikten Gesetzen für Recht und Ordnung sorgen und es nicht durch Sparensparensparen der Troika und der EU recht machen. „Die Troika hilft nicht, sondern sorgt nur für weitere Katastrophen“, sagt sie. Da sei sie froh, dass endlich eine volksorientierte Partei nach oben strebe. Rechtsaußen sei die einzige Chance für ihr Land. Sie sagt das fast verzweifelt.

Die Parteizentrale der Neofaschisten befindet sich nahe der Metrostation Attiki im Zentrum Athens. Ein Türsteher mit hellen Augen, rasiertem Schädel und militanter schwarzer Bekleidung bewacht den Eingang des Parteibüros. Im Flur hinter der Eingangstür stehen weitere Aufpasser. Einer von ihnen trägt ein T-Shirt der Marke „Consdaple“ und darüber eine halb offene Jacke, so dass nur noch die Buchstaben NSDAP zu lesen sind. An der Wand lehnen zusammengerollte Griechenland- und Parteiflaggen. Die Parteiflaggen haben eine auffällige Ähnlichkeit mit Hakenkreuzflaggen.

Rund 60 Parteibüros sollen seit 2012 im ganzen Land entstanden sein. Die Partei, die in den 80er Jahren als kleiner, politisch unbedeutender Zusammenschluss gestartet war, erlebt die „goldene Morgendämmerung“, nach der sie sich benannt hat, gerade selbst. Nachdem ihre Anhänger anfangs im Verdacht standen, vor allem als Hilfsschläger der Polizei gegen linke Demonstranten vorzugehen, berichten Kritiker inzwischen, dass das Verhältnis sich umgekehrt habe: dass die Polizei heute der Chrysi Avgi assistiere. Was die Partei durch ihr Zentralkomitee-Mitglied Theodoros Koudounas nur halb dementiert. „Nein, wir ersetzten die Polizei nicht“, sagt er. „Aber stellen Sie sich eine alte Dame vor, die eine Straße überqueren will, an der zwei Polizisten Dienst haben und an der ein junger Mann steht. Sollte dann nicht der junge Mann der Dame über die Straße helfen? Das ist es, was wir tun.“ Oder er sagt: „Oftmals werden Bürger von der Polizei zu uns geschickt mit dem Hinweis, dass sie von der Chrysi Avgi bessere Unterstützung bekommen.“ Die Polizei sage, sie selbst habe nicht genügend Kräfte und daher zu wenig Zeit, berichtet Koudounas verständnisvoll.

Die Parteizentrale scheint ein Treffpunkt für junge Leute unter 30 geworden zu sein, die sich im ersten Stock treffen und in einer „Jugend der Chrysi Avgi“ organisieren. Dort gibt es neben vielen Sitzgelegenheiten und einer Terrasse, auf der geraucht wird, auch einen Fanshop, in dem Kapuzenpullover, Basecaps und Ketten mit Parteinamen oder keltischen Symbolen verkauft werden. Bücher mit Titeln wie „Lenin und Stalin“ stehen in den Regalen des Shops – „um den Feind zu kennen“, wie lächelnd erklärt wird. Auch gibt es Bücher, in denen der Holocaust angezweifelt wird, und Bücher zu Kampfkunsttechniken.

Doch das alles erreicht Maria Konstantopoulou nicht. Weder weiß sie, wie es in der Parteizentrale der Chrysi Avgi zugeht, noch was in deren Parteiprogramm steht. Ihr geht es einzig darum, „dass endlich jemand etwas fürs Volk tut“.

Sie und ihr Mann sind auf die Unterstützung ihres 60-jährigen Sohnes angewiesen. Das ist Maria Konstantopoulou äußerst unangenehm, denn der hat es finanziell selbst schwer. Sein Arbeitsplatz ist nicht sicher. Der Firma, in der er arbeitet, geht es wegen der Wirtschaftskrise schlecht. „Sein Gehalt wurde bereits zweimal gekürzt“, erzählt sie. „Von 1500 auf mittlerweile 750 Euro.“

Es klingelt kurz, dann dreht sich das Schloss in der Eingangstür. Marina, die Pflegehilfe, kommt herein. Marina, die doch auch für Maria Konstantopoulou der leibhaftige Beweis dafür sein könnte, wie falsch die Parolen von Chrysi Avgi sind. Marina ist vor sieben Jahren aus Albanien nach Griechenland gezogen, spricht die Sprache perfekt und gehört dennoch zur Hassgruppe der Chrysi Avgi. Sie ist eine von denen, die es zu vertreiben gilt.

Maria Konstantopoulou geht ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen. Die beiden Frauen begrüßen sich herzlich. Marina geht zu Petros Konstantopoulos ins Schlafzimmer, der sie mit „Koukla mou“ – „meine Süße“ – freudig empfängt. Marina wäscht ihn, zieht ihn an und hievt den schweren, alten Körper dann mit festen Griffen und anspornenden Worten in den Rollstuhl. Dann fährt sie Petros in seinem Rollstuhl in die Küche an den Esstisch, auf den Maria bereits das Abendessen gestellt hat. Die drei sitzen am Küchentisch, plaudern und vergessen ein wenig die mehr oder weniger bedrohliche Tristesse ihres Alltags.

Zur gleichen Zeit findet im Athener Stadtzentrum eine Kundgebung der Chrysi Avgi statt. Parteichef und -gründer Nikolaos Michaloliakos wirbt wie so oft für ein „Griechenland den Griechen“. Sprechchöre ertönen: „Den tha geineis elinas pote, albane, albane – Du wirst niemals ein Grieche sein, Albaner!“ In militanter schwarzer Kleidung präsentieren die Parteianhänger kämpferische Geschlossenheit für das Vaterland. Es wirkt. Die Kundgebung hat regen Zulauf.

Theodora Mavropoulos[Athen, Patras]

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