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Politik: Die Wahrheit zählt, sonst nichts

EUROPA UND DIE TÜRKEI

Von Robert von Rimscha

Liste – und Datum. Nur zwei Worte? Nein, hier geht es zweimal um politisches Ringen. Liste: Das sollen USWünsche sein, was Deutschland tun möge, um den transatlantischen Bruch zu heilen. Datum: Dies ist die Frage, wann die Europäische Union der Türkei die Tür öffnet. Was das miteinander und mit uns zu tun hat? Ganz einfach. Deutschland ist gefragt - zweimal.

Amerika will dem säkularen Islam türkischer Prägung ein Zimmer in Europa geben. Nun wird Berlin recht offen signalisiert, dass ein absehbarer Beitritt auch das ideale Versöhnungs-Geschenk Schröders an Bush wäre. Ankara statt Canossa, Ankara als Canossa: „Nennt der Türkei endlich ein Datum, und alles ist vergeben", hat ein Bush-Berater gesagt. Doch Berlin und Washington dementieren: Eine Liste gebe es nicht, und schon gar nicht seien Türkei-Konzessionen die Bedingung für eine deutsch-amerikanische Wiederannäherung. Klar. Eine Liste darf es schon deshalb nicht geben, weil man sich ja dann zu ihr, so oder so, äußern müsste. Ein denkbares Nein brächte neuen Streit. Ein Ja ließe den Eindruck zu, Washington entscheide über EU-Mitglieder. Dabei ist eine Liste gar nicht notwendig. Denn was Amerika wünscht, weiß unsere Außenpolitik. Und ein wenig handelt sie sogar danach.

Das Thema „Türkei und EU“ geht tief. Verhandelt wird unsere Identität. Der alte Satz, wonach Anatolien nicht in Europa liege, ist schließlich mehr als eine geographische Behauptung. Im Umgang mit der Türkei stellt sich für Europa die Grundsatzfrage: Sind wir – auch – moslemisch? Amerika hegt den Verdacht, Europa wolle dies klammheimlich mit Nein beantworten. Eine düpierte Türkei aber falle aus als säkulare Demokratie, die stabilisierend ausstrahlt in eine labile Region, zerrissen vom Gegensatz zwischen Islam und Modernisierung. Ganz praktisch braucht man türkisches Wohlwollen allerdings auch, wenn es zum Krieg gegen Saddam käme.

Was die EU angeht, hegt Ankara Ängste, die denen Washingtons ähneln: Im Grunde wollen die uns nicht im Jetzt-Europa, irgendetwas wird denen stets einfallen, um uns zu blockieren - so ungefähr lautet die Wahrnehmung. Und Europa? Da fürchten die Regierenden den Zorn der Regierten. Offene Grenzen, als wäre die Erweiterung nach Osten nicht Belastung genug, Freizügigkeit der Arbeitssuchenden: ein Horrorgemälde.

Noch ist die Türkei nicht EU-reif. Wer gerade sechs deutsche politische Stiftungen bezichtigt, den Staat zersetzen zu wollen, belegt dies auf traurige Weise. Doch ebenso wenig sind die erheblichen Fortschritte, die Ankara gemacht hat, zu übersehen. Wohin die Türkei geht, ist offen. Was nicht geht, muss allerdings klar sein. Die EU-Mitgliedschaft basiert auf Werten. Instrumentell, zur Lösung regionaler Konflikte, kann sie nicht vergeben werden. Ohne Konditionen, also unter Verzicht auf die Forderung nach echter Demokratie, auch nicht. Doch ebenso wenig funktioniert im 21. Jahrhundert eine Festschreibung Europas als Christenunion.

Letztlich ist die Botschaft, die Europa gen Ankara sendet, seit Jahren die gleiche: „Wir wollen euch – wenn…“ Es geht darum, wie gewichtet wird. Sollen eher die bremsenden Bedingungen betont werden, oder eher das Ziel, der Beitritt? Eine klare, positive Perspektive für Ankara und ebenso klare inhaltliche Kriterien würden allen nutzen. Niemandem wäre damit gedient, wenn die Türkei ein Datum bekommt statt Demokratisierung, quasi als Ersatz. Ein Datum zwecks weiterer Demokratisierung, das sollte es sein. Im Dezember, beim EU-Gipfel in Kopenhagen, wäre das richtige Datum. Für ein Datum. Für Berlin. Und die USA.

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