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Politik: Die Witwe des alten China

Madame Tschiang ist in New York im Alter von 105 Jahren gestorben

Lange ist Madame Tschiang Kai-shek der Liebling der New Yorker Salons gewesen. „Das Einzige, was an mir orientalisch ist, ist mein Gesicht“, sagte sie einmal. Aber was für ein Gesicht! Eine Boulevardzeitung nannte Madame Tschiang, die in der Nacht zum Freitag im Alter von fast 106 Jahren starb, einmal die schönste Chinesin New Yorks. Hinzu kamen ein klarer Verstand und ein bemerkenswert skrupelloser Charakter.

Von New York aus eroberte sie die Herzen der Amerikaner – und deren Scheckbücher. 1943 löste sie eine Welle der Unterstützung für Chinas Nationalisten aus, die von ihrem Mann, General Tschiang Kai-shek, geführt wurden. Mit einer flammenden Rede vor beiden Häusern des Kongresses beeinflusste sie Washingtons China-Politik maßgeblich. Mehrere Milliarden Dollar flossen der Kuomintang zu. Die nationalchinesische Bewegung hatte Chinas letzten Kaiser gestürzt und dem Land Demokratie versprochen, war dann aber dem Zwei-Fronten-Kampf gegen die Japaner und die Kommunisten nicht gewachsen. Wohl auch deshalb nicht, weil Madame Tschiang und ihr Mann mehrere hundert Millionen Spendendollars auf Privatkonten umgelenkt hatten.

1949 zogen sich die Truppen ihres Mannes auf der Flucht vor den Truppen Mao Tsetungs auf die Insel Taiwan zurück. Als Tschiang Kai- shek 1975 starb, ließ die schöne Witwe Container packen und nach Manhattan verschiffen – der eigentlichen Insel ihrer Träume. Bis sie sich im hohen Alter, gezeichnet von Arthrose und Brustkrebs zurückzog, hielt sie Hof in ihrem Appartement in Manhattan.

Madame Tschiangs Feinde beschrieben sie als geldgierige „Dragon Lady“. Präsidentengattin Eleanor Roosevelt hatte die Chinesin einmal gefragt, was sie mit streikenden Bergarbeitern machen würde. Madame Tschiang führte ihren rotlackierten Fingernagel wortlos von links nach rechts über die Kehle. „Diese Dame“, sagte Frau Roosevelt, „kann wunderschön über Demokratie reden, aber sie weiß wirklich nicht, wie man Demokratie lebt.“

Thomas Burmeister (dpa)

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