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Politik: Die Wochen der Patrioten

Von Harald Martenstein

Der CDU-Politiker Christian Wulff und seine Frau haben sich getrennt, Wulff liebt eine Neue. Eine Kommentatorin der Konkurrenz hat eine Brücke geschlagen, zwischen diesem privaten Vorgang und dem familienpolitischen Programm der CDU. Führende CDUler leben heute in Patchwork-Familien, in serieller Monogamie, sie sind genauso schwul und so lesbisch wie die anderen. Die christliche, lebenslang monogame Familie steht noch als Ideal im Parteiprogramm, die Wirklichkeit sieht anders aus.

Daran musste ich denken, als in den letzten Wochen wieder mal eine deutsche Patriotismusdebatte losbrach, die wievielte eigentlich, diesmal aus Anlass der Fußball-WM und eines Buches, welches der „Spiegel“-Journalist Matthias Matussek geschrieben hat. Diese Debatten sind extrem sinnlos, weil die Dinge überaus klar sind. Dagegen, dass Deutsche Deutschland mögen, hat niemand auf der Welt etwas, eher im Gegenteil, es handelt sich also keineswegs um ein Tabu. Solange die Vaterlandsliebe nicht gesetzliche Vorschrift wird und solange in den Klassenzimmern nicht täglich die Nationalhymne gesungen werden muss, was übertrieben wäre, soll jeder lieben, wen oder was er will. Im Gegensatz zu den Patrioten sind Nationalisten aggressiv und nehmen die Liebe zum eigenen Land zum Anlass, anderen Völkern das Leben schwer zu machen. Wer in Deutschland den Nationalismus salonfähig machen möchte, hat einen an der Waffel. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Die meisten Deutschen leben auch, was Liebe zu Ländern betrifft, nicht mehr so monogam wie früher. Es ist wie mit der CDU-Familienpolitik: Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir Deutsche verbringen unsere Sommer und unsere Lebensabende gern im Süden, wir sind Mallorca-Patrioten, wir haben, falls wir es uns leisten können, ein Häuschen am Mittelmeer, studieren in Amerika, arbeiten in Skandinavien und kosten von allen Küchen der Erde, unsere Biografien werden multikulti. Auch was die Länder betrifft, passt mehr als eine Liebe in ein Leben hinein. Falls Deutschland, tragischerweise, bei der WM früh ausscheidet, haben die meisten ein Ersatzlieblingsland in petto. Patriotismus und Nationalismus sind Geschöpfe aus einer Welt, in der die Völker einander nicht wirklich kannten. Wer viel reist und gebildet ist, dessen nationale Gefühle relativieren sich. Wer also die Deutschen wieder patriotischer machen möchte, braucht ihnen nur das Reisen zu verbieten.

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