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Politik: Die Wüste bebt

Von Clemens Wergin

Religiöse israelische Siedler rechnen in Jahrtausenden. Die zunehmende internationale Isolierung Israels, die Kosten, mit denen 8000 Siedler inmitten von 1,3 Millionen Palästinensern geschützt werden mussten, die demografische Entwicklung – all das sind für sie Kleinigkeiten im Vergleich zur biblischen Verheißung vom gelobten Lande. Dementsprechend hartnäckig ist der Widerstand der Ideologen in Gaza.

Was wir in diesen Tagen erleben, ist eine kleine Revolution in der Geschichte der seit fast 38 Jahren andauernden Besetzung. Und es ist eine große Revolution innerhalb der israelischen Politik. Der von Ariel Scharon verkörperte Teil des konservativen Lagers stellt sich damit endlich den Realitäten und gesteht ein, dass Israel nicht ewig an allen besetzten Gebieten festhalten kann. Ebenso wichtig ist, dass die moderaten Israelis zum ersten Mal den Machtkampf mit der militanten Minderheit der Siedler gesucht haben.

Kritiker sagen, Scharon betreibe bloß eine Frontbegradigung, um Druck von Israel zu nehmen und den Zugriff auf die Westbank zu sichern. Richtig daran ist, dass Scharon die strategischen Interessen Israels neu definiert. Genauso richtig ist aber, dass Israel gerade auch eine ideologische Frontbegradigung erlebt. Die militanten Siedler haben sich als Ideologen entlarvt, die ihre religiösen Überzeugungen über das Wohl des Staates stellen, der sie wie keine andere gesellschaftliche Gruppe subventioniert und protegiert hat. Jahrzehntelang haben der Pioniergeist und die Opferbereitschaft der Siedler eine magische Anziehungskraft auf viele Israelis ausgeübt. Denen hat nun die Augen geöffnet, dass aus den Protesten eine Revolte wurde, dass die Siedler das Machtmonopol der Politik in Frage stellen. Sie mussten erkennen, dass ihre Demokratie nicht nur von außen bedroht ist, sondern auch von Fanatikern im Innern.

All der politische Mut, den Scharon bewiesen hat, ändert wenig daran, dass der Rückzug in der Region als Schwäche ausgelegt wird. Wie im Jahr 2000 beim Abzug aus Libanon erhält Israel keine Gegenleistung. Wie damals die Hisbollah, werden nun Hamas, Islamischer Dschihad und die Al-Aksa-Brigaden als Sieger gefeiert werden. Nur: Wer zu früh triumphiert, den bestraft die Geschichte – die palästinensische ist voll von selbst beigebrachten Niederlagen. Die folgenreichste waren die drei Nein von Khartum 1967 unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg. Kein Friede mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit Israel: Das war die Formel, mit der die arabischen Staaten eine Rückgabe der gerade von Israel eroberten Gebiete verhinderten. Und es war der Beginn einer verstetigten Besetzung, die die Siedlerbewegung erst ermöglichte.

Wenn die Palästinenser mehr wollen als Gaza und jenen Teil der nördlichen Westbank, den Israel im September evakuiert, dann müssen sie das ihre dazu tun. Das heißt, die Autonomiebehörde muss gegenüber den Terrorgruppen das Machtmonopol behaupten. Und sie muss verhindern, dass der Grenzübergang zu Ägypten und der Hafen von Gaza zum Einfuhrtor von Waffen werden, die gegen Israel in Stellung gebracht werden.

Kein Volk hat von den UN je so viel Geld erhalten wie das palästinensische. Keine Unabhängigkeitsbewegung hat so viel internationale Unterstützung erhalten wie diese. Nun müssen die Palästinenser beweisen, dass sie das in sie gesetzte Vertrauen auch verdienen. Israels Gesellschaft und Politik scheinen den Gaza-Test bestanden zu haben. Für die Palästinenser hat er gerade begonnen.

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