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Dienstpflicht: Wenn Solidarität zwingend wird

Die Skepsis gegen eine allgemeine Dienstpflicht überwiegt – selbst in der Union. Die Fürsprecher aber hält das nicht ab, für die Idee zu kämpfen.

Berlin - Im Bundestag hat sie kaum Fürsprecher, Kritiker führen in allen Fraktionen das Wort. Allgemeine Dienstpflicht – für den SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold ist das eine regelmäßig wiederkehrende „Geisterdebatte“. Auch in der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP überwiegt die Skepsis, selbst wenn einzelne Funktionäre der Union aus den Ländern die Debatte um die Dienstpflicht gern am Kochen halten wollen.

Die Gründe der Kritiker sind verschieden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz meint, sie sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Für die FDP spricht deren Bundestagsabgeordneten Florian Bernschneider. Er hält es für fraglich, ob Pflichtarbeit mit der europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist. Zudem würden Kosten in Milliardenhöhe entstehen. SPD-Mann Arnold sagt, jedes Jahr müssten etwa 900 000 junge Menschen zum Pflichtdienst antreten, so viele könnten nicht sinnvoll untergebracht werden. Auch die anderen Oppositionsfraktionen wollen von einer Dienstpflicht nichts wissen: Kai Gehring, Grünen-Abgeordneter, lehnt sie „strikt“ ab und fordert einen Ausbau des Angebots an Freiwilligendiensten. Die Linke ist generell gegen Zwangsdienste.

Die Fürsprecher aber hält das nicht ab, für die Idee zu kämpfen. Die Senioren-Union Bayern und mehrere Landesverbände der Jungen Union rechnen damit, dass eine allgemeine Dienstpflicht durchaus durchgesetzt werden kann, auch wenn das ein paar Jahre dauern könnte. Konrad Weckerle, Vorsitzender der Senioren-Union Bayern, hat bereits konkrete Vorstellungen. Er fordert eine zwölfmonatige allgemeine Dienstpflicht – für Männer wie für Frauen. Aus einem Spektrum von rund 20 Möglichkeiten sollen junge Menschen ab 18 Jahre einen Bereich auswählen, in dem sie ihre Dienstpflicht erfüllen. Der Wehrdienst ist dabei nur noch eine von vielen gleichberechtigten Optionen, wie beispielsweise Naturschutz, Entwicklungshilfe oder Katastrophenschutz. Die Vergütung solle sich am heutigen Wehrsold orientieren. Ausnahmen von der allgemeinen Dienstpflicht möchte Weckerle auf ein Minimum reduzieren: Auch als untauglich Gemusterte müssten – außer natürlich zum Wehrdienst – herangezogen werden. „Es gibt überhaupt keinen Grund, dass sie ihren Dienst für die Gesellschaft nicht leisten“, sagt Weckerle. Für Geistliche gelte dasselbe. Der Bedarf an entsprechenden Leistungen sei „riesig“, da die Gesellschaft immer älter werde.

Diese Ansicht vertritt auch Marc Reinhardt, Vorsitzender der Jungen Union in Mecklenburg-Vorpommern. Die demografische Entwicklung wäre ohne eine allgemeine Dienstpflicht ein „kaum zu bewältigender Kostenfaktor“. Dass auch Frauen zum Dienst verpflichtet werden sollen, begründet er mit der Gleichberechtigung. Außerdem leisteten schon sehr viele Frauen freiwillig Dienst. „Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Projekt sich durchsetzt, das vorher als nicht mehrheitsfähig eingestuft wurde.“ Die Junge Union Niedersachsen hat sogar schon einen Namen: Das „Deutschlandjahr“ solle für den Einsatz des Einzelnen für das Gemeinwesen stehen. Allerdings fordern die Niedersachsen diesen Pflichtdienst nur für Männer, da Frauen bereits soziale Aufgaben wie Schwangerschaft und Erziehung übernehmen und damit für eine bestimmte Zeit aus dem Berufsleben ausscheiden würden.

Die Wohlfahrtsverbände haben die Befürworter noch nicht gewonnen. Die Johanniter-Unfallhilfe lehnt laut Sprecherin Regina Villavicencio eine allgemeine Dienstpflicht als nicht verfassungskonform ab. Vielmehr wollten die Johanniter eine „Kultur der selbstverständlichen Freiwilligkeit“ fördern und verlangen eine verstärkte Förderung des freiwilligen sozialen Jahres durch den Bund. Die Arbeiterwohlfahrt ist ebenfalls gegen die allgemeine Dienstpflicht. Solidarität solle auf Freiwilligkeit gründen und damit eine Herzensangelegenheit sein, sagt ein Sprecher. „Die Freiheit, sich nicht engagieren zu wollen, muss geachtet werden.“

Philip Frank

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