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Diskussion um politischen Kurs: Welche Chancen hätte eine Partei rechts der Union?

Der Union wird vorgeworfen, ihre Werte aufzugeben und nach links zu rücken - unter anderem vom Koalitionspartner FDP. Machen CDU und CSU nun Platz für eine neue konservative Partei?

Immer dann, wenn in den vergangenen Jahren die Kritik über den Kurs der Union und über CDU-Chefin Angela Merkel besonders laut wurde, waren auch sie wieder da: die Spekulationen über die Neugründung einer Partei mit konservativem Profil, rechts von der CDU. Jetzt gibt es wieder Debatten über den Kompass der CDU – über eine vermeintliche Sozialdemokratisierung und ein Abrücken vom Wertegefüge der Partei. Und es wird nicht lang dauern, bis auch der Geist einer neuen Partei wieder erstehen wird. Bisher trat der Geist selbst nie in Erscheinung, deshalb wusste niemand, ob es ihn wirklich gibt. Er ließ nur über sich sprechen. Wolfgang Bosbach (CDU) etwa, der Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses, oder Friedrich Merz, einstmals Widersacher von Angela Merkel, und auch Wolfgang Clement, ehemaliger SPD-Bundesminister, sind diesem Geist vermutlich begegnet. Er hat sie alle gefragt, ob sie ihm und einer neuen Partei nicht ins Leben verhelfen wollen.

Welche Chancen hätte eine neue Partei?

Einer der treusten Weggefährten dieses Geistes, Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), warb gern für eine solche neue Partei, eine Alternative wahlweise für die CDU oder die FDP, wirtschaftsliberal ausgerichtet, eine Partei für ein „Europa der Vaterländer“, eine „Anti-Einheits-Euro-Partei“, die sich gegen die „Schulden- und Transferunion“ stemmt. Aber nun hat selbst Hans-Olaf Henkel aufgegeben. Er ist einfach in eine schon existierende Partei eingetreten: in die Partei Freie Wähler (FW). Diese hatte sich vor wenigen Wochen als bundesweites Dach für die zahlreichen kommunalen Wählervereinigungen gegründet. Jeder, der einen Mitgliedsantrag stellt, muss sich verpflichten, sich kommunalpolitisch zu engagieren.

Vor wenigen Tagen ging Henkel mit dem Chef der FW, Hubert Aiwanger, in Berlin an die Öffentlichkeit. Henkel behauptete nun, eine neue Partei zu gründen, sei zu schwierig. Die Bürokratie in Deutschland, schimpfte er, verhindere quasi neue Parteien, weil sie die Hürden so hoch baue. Er erwähnte nicht, dass es die Piraten geschafft haben, diese Hürden hinter sich zu lassen. Aiwanger beeilte sich zu betonen, wie Recht Henkel habe und dass doch der ganz große Vorteil der Freien Wähler sei: „Wir sind schon da, und wir stehen bundespolitisch auf der Matte.“

Bisher stehen die FW nur in Bayern auf der Matte. Dort sind sie bei der letzten Wahl mit knapp zehn Prozent in den bayrischen Landtag eingezogen, nun wollen sie 2013 auch in den Bundestag. Aiwanger gibt sich als eine Art Anti-Pirat, behauptet, er sei der „Robin Hood der politischen Mitte“, bürgerlich, wertkonservativ, und nun will er gemeinsam mit Henkel den Euro vor der „wahnsinnigen Politik“ (Aiwanger) der Kanzlerin retten. Der ehemalige BDI-Chef attestierte den FW überraschenderweise „Riesenpotenzial“.

Welche Bestrebungen gibt es für eine Parteigründung rechts der CDU?

Nachdem Hans-Olaf Henkel den Geist der neuen Partei entweder nach Hause geschickt oder mit zu den Freien Wählern genommen hat, weiß man noch nicht genau, ob es nun endgültig vorbei ist mit der Phantom-Debatte. Tatsächlich gibt es in Deutschland vereinzelte Kreise aus Wirtschaft und Gesellschaft, die sehr konspirativ agieren und unbedingt ein neues Partei-Projekt jenseits der Union oder statt der FDP haben wollen. Wolfgang Bosbach und andere kennen diese Leute, aber sie nennen sie nicht, weil sie Vertraulichkeit versprochen haben. Kürzlich schrieb die „Zeit“: „Eine ‚bundesweit bekannte politische Person’ sondierte beim Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach, ob er sich eine Mitarbeit an einer neuen Partei vorstellen könne. Um die für eine Parteigründung notwendigen Finanzen brauche man sich keine Sorgen zu machen.“

Bosbach gehört wie auch der ehemalige Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm, zu denen, die immer mal wieder die eigene Partei heftig kritisiert haben. Nun haben sie sich gemeinsam mit anderen im „Berliner Kreis“ zusammengeschlossen, um ihrer Kritik einen gewissen öffentlichen Rahmen zu geben. Im neuen Jahr, so sagt es eine, die dabei ist, wolle man auch „inhaltlich Denkanstöße liefern“. Die Unzufriedenen in der CDU, wertkonservative, marktliberale, nationale oder katholische Abgeordnete, sind immer schon begehrenswert gewesen für die, die angeblich eine neue Partei gründen wollen. Jörg Schönbohm aber sagt, stellvertretend für viele im „Berliner Kreis“: „Ich würde das nie tun.“ Bosbach drückt es so aus: „Ich fühle mich nach wie vor als Teil der Unionsfamilie. Und seine Familie verlässt man nicht, auch wenn es mal in einer Sachfrage mit Mutti Ärger gibt.“

Hans-Olaf Henkel, der von sich selbst sagt, dass auch er persönlich niemals eine neue Partei gründen wollte, sich aber gerne als geistiger Wegbereiter andient, suggerierte bis vor kurzem gerne, dass es quasi an der Zeit wäre für eine solche Partei. Der „Zeit“ sagte er: „Ich kriege dauernd Briefe, E-Mails: ‚Gründen Sie Ihre eigene Partei!’ Ich werde überschüttet …, von solchen Anfragen, eine Partei zu gründen.“ Henkel hat immer auf andere gehofft, auf verstoßene Unionspolitiker oder zuletzt auf den FDP-Euro-Rebellen Frank Schäffler. Henkel wettert schon länger gegen den „Einheits-Euro“ und die „Schulden-Union“. Aber sogar sein wichtigster Hoffnungsträger Friedrich Merz, der sich im Sommer 2009 aus der aktiven CDU-Politik zurückgezogen hatte, schrieb ihm zuletzt: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Namen im Zusammenhang mit einer Neugründung einer Partei möglichst nicht weiter nennen würden.“

Warum ist das so schwierig, eine neue Partei aus der Taufe zu heben?

Im Sommer dieses Jahres schien die Zeit tatsächlich mal wieder reif zu sein für eine ernsthafte Debatte über eine neue Partei. Es gab so viele Themen, die die konservative Klientel wütend gemacht hatte und unzufrieden mit der Politik der CDU: die Atomwende, die Bundeswehrreform mit der Abschaffung der Wehrpflicht, die Europa-Politik, die Schul- und Familienpolitik. Wie schon so oft nach Merkels Abkehr von den marktorientierten Thesen des Leipziger Parteitags von 2003, begann der Chor der Unzufriedenen das traurige Lied vom verlorenen Markenkern und der verlorenen Identität anzustimmen.

Interessant ist aber, dass jene, die den Kurs der CDU kritisierten und mehr oder minder deutlich den Gedanken an eine neue Partei ins Spiel brachten, mit ihren Überlegungen stets auf die Mitte der Gesellschaft zielten. Denn jedem ist wohl das Risiko bewusst: Eine Partei rechts von der CDU würde mehr damit beschäftigt sein, Leute mit extremen Positionen fernzuhalten als ihre eigentlichen Inhalte zu vermitteln.

Auch Karl-Theodor zu Guttenberg, der mit seinem Interviewbuch die Neugründungsdebatte jüngst wieder befeuerte, hat sich mit diesem Phänomen auseinandergesetzt. Wenn es denn eine neue Partei geben sollte, müsse sie auf jeden Fall ein klares Bekenntnis zu Israel abgeben, sagte er. Das werde „den rechten Rand wohl abschrecken“. Denn ansonsten würden da plötzlich jene ewig Gestrigen stehen, die man gar nicht haben will und die, wie es auch Henkel sieht, „alles diskreditieren würden“. Auch Guttenberg findet, dass die Mitte „in den Augen eines erheblichen Teils der Bevölkerung verwaist“ sei, „sie wird nur noch mit Phrasen und mit den immergleichen Scharmützeln bespielt“. Der CSU-Mann findet zudem, dass die Union noch in der Mitte sitze, „aber sie ist dort lange nicht mehr so erkennbar, wie sie es sein könnte. Sie sitzt eben und steht nicht.“

Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Jürgen F. Falter sieht die Chance einer neuen und wirklich einflussreichen Partei im rechten Spektrum oder als Ersatz für die FDP als unwahrscheinlich an. Er sagt, „eine europaskeptische Partei könnte Zulauf haben. Aber im Prinzip fehlt einer Partei im konservativen Spektrum eine Art Lafontaine der Rechten, ein charismatischer Führer. Den sehe ich nicht.“

Guttenberg, sagt Falter, habe sich selbst aus dem Spiel genommen. Die Freien Wähler hält Falter für bundesweit nicht konkurrenzfähig. Allerdings würde Falter der CDU auch nicht empfehlen, sich zufrieden zurückzulehnen. „Der CDU kann man getrost sagen: Macht euch derzeit keine Sorgen, aber stellt euch bei den national- und katholisch-konservativen Kräften ein bisschen breiter auf.“

Könnte nicht auch eine Kurskorrektur der CDU eine Lösung sein?

Die Kritiker innerhalb der CDU haben sich ja gerade im „Berliner Kreis“ gesammelt, um Debatten anzustoßen. Würden sie ernst nehmen, was sie selbst sagen, dann könnte es jenseits einer Geisterdebatte über Parteineugründungen wirklich spannend werden. Denn dann ginge es um das Selbstverständnis und die Ausrichtung der zurzeit größten Volkspartei.

Die Kritikpunkte haben sich seit Jahren nicht verändert, der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel, fasste sie im August so zusammen: „Die Stammwähler der CDU können nicht mehr sagen, worin die Alleinstellungsmerkmale der CDU liegen, wo ihre Kernkompetenzen sind, wo ihr Profil ist.“ CDU-Mitglied und Publizist Alexander Gauland schrieb: „Angela Merkel hat es geschafft, aus einer Partei mit konservativen, liberalen und sozialen Inhalten ein ideologisches Nichts zu zaubern.“

Doch im Grunde referierten die Gaulands, Teufels, Biedenkopfs und andere, was im Prinzip völlig unbestritten innerhalb der CDU auch unter Merkel ist. Nämlich den Anspruch: „Wir wollen Volkspartei bleiben.“ Die Kritiker, auch die unzufriedenen Funktionsträger der Partei, die etwa dem „Berliner Kreis“ angehören, hätten nur gerne mehr „inhaltliche Orientierung“, aber noch lieber würden sie „sich wahrgenommen fühlen“, wie es einer ausdrückt. Genau das verbindet sie mit Hans-Olaf Henkel, zudem die Sehnsucht, die CDU möge „nicht mehr nur Mainstream“ sein.

Kann man nicht Mainstream sein und gleichzeitig Volkspartei bleiben wollen?

Kritiker wie Jörg Schönbohm sehen die Gefahr, dass die CDU, so wie sie aufgestellt ist, immer mehr Nichtwähler produziert. 2009 schrieb er in einem Aufsatz: „Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung stützt sich auf gerade mal ein Drittel der Wahlberechtigten. 21 Millionen Koalitions-Wählern stehen 19 Millionen Nicht- oder Ungültigwähler gegenüber.“ Tatsächlich aber sei ein großer Teil der Nichtwähler „sehr mündig, sehr rational und sehr entschieden“. Es ist die Klientel, die auch Erwin Teufel im Sinn hatte, als er, ohne Merkel zu nennen, schrieb: „Wer es mit unserer Partei gut meint, folgt nicht blind jedem Kurs und jedem Kurswechsel, sondern bildet sich ein eigens Urteil. Er hört auf Bürger und Fachleute.“

So könnte es denn sein, dass es eine neue, konservative Partei nie geben wird, weil aus der CDU niemand Prominentes ausbricht – und weil eine gemeinsame, glaubhafte Identität fehlt. Ach ja, Gabriele Pauli. Die ehemalige CSU-Rebellin und fraktionslose bayerische Landtagsabgeordnete findet, es sei jetzt aber wirklich mal an der Zeit für eine neue Partei. Der „Bunten“ verriet sie jüngst, gerne würde sie dort mit Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zusammenarbeiten. Und der hält sich ja bekanntlich alles offen, schließlich ist er, wie er findet, nur vorerst gescheitert.

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