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Männer vor einem beschädigten Gebäude.

© Reuters

Krise in der Ukraine: Donezk – eine Geisterstadt

Tausende fliehen aus der umkämpften ostukrainischen Millionenmetropole. Und die humanitäre Situation in Donezk verschlechtert sich täglich.

Es ist schlimm. Und es wird immer schlimmer. Seit Tagen ruft die Stadtverwaltung die Einwohner dazu auf, Donezk zu verlassen. Da kaum noch Autos in der Stadt sind, bringen Busse die Menschen in westlich gelegene Städte wie Dnjpropetrowsk oder Charkiw. Für die meisten gibt es hier keine Arbeit mehr, fast alle Betriebe haben geschlossen. Die Versorgungslage wird täglich miserabler, viele Geschäfte und die großen Märkte öffnen nur hin und wieder. Die Innenstadtstraßen wie die Artema-Straße oder der Puschkin-Boulevard sind trotz des Sommerwetters menschenleer. Autos fahren keine. Der zentrale Lenin-Platz, von Cafes und Geschäften umgeben, ist leer, viele Schaufenster zum Schutz vor Angriffen mit Sperrholzplatten vernagelt.

Wie ausgestorben

Die Großstadt Donezk, in der bis zum Frühsommer fast eine Million Menschen lebten, wirkt wie ausgestorben, eine Geisterstadt – und nun ist sie am Dienstagabend auch noch das erste Mal von Kampfjets bombardiert worden. Es habe keine Opfer gegeben, teilte die Stadtverwaltung mit. Die Armee wies die Verantwortung für das Bombardement zurück.

Die Menschen fliehen. Wer ausharrt, hofft auf ein schnelles Ende der Kämpfe. Augenzeugen berichten, in den Ortsteilen Kirow, Petrowski und Kalinski habe es bei Attacken auf Stellungen der Rebellen Angriffe aus der Luft gegeben. Unter anderem hat der Angriff einen Kraterdurchmesser von vier Meter Breite und 1,5 Meter Tiefe auf einer Fahrbahn hinterlassen. Eine Gaspipeline wurde stark beschädigt. Arbeiter, die den Schaden am Mittwoch begutachten wollten, wurden beschossen. Zudem wurde ein Blindgänger entschärft.

Der Bürgermeister der Stadt Donezk, Alexander Lukjantschenko, hatte vor einigen Wochen Präsident Petro Poroschenko in Kiew besucht und ihn gebeten, von einer Bombardierung der Stadt und von Häuserkämpfen abzusehen. Doch offenbar ist eine andere Entscheidung gefällt worden.

Es würde an medizinischer Hilfe fehlen

Sollten in der Stadt tatsächlich Kämpfe ausbrechen, gäbe es nicht genügend medizinische Hilfe, zudem wäre wegen der Energieknappheit die Versorgung in den städtischen Krankenhäusern nicht möglich. Viele private Krankeneinrichtungen haben nicht nur ihr Personal aus Donezk weggebracht, sondern auch die teuren Geräte in Sicherheit gebracht. Wegen der Gefechte zog die OSZE einen Teil ihrer Beobachter aus der ostukrainischen Stadt ab. „Wir waren aus Sicherheitsgründen gezwungen, das Team zu verkleinern“, sagte OSZE-Sprecher Michael Bociurkiw am Mittwoch in Kiew.

Seit zehn Tagen versucht die ukrainische Armee, auch die Stadt Gorliwka einzunehmen, die den Separatisten als Verbindungsstelle für Donezk und Lugansk gilt und bislang unter Kontrolle der Rebellen steht. Die Aufständischen werden offenbar aus Russland mit Männern und Material versorgt. Die Kämpfe haben sich in den vergangenen Tagen stark ausgeweitet. Laut Angaben der ukrainischen Armee sollen seit dem Wochenende 33 Zivilisten ums Leben gekommen und 129 verletzt worden sein. Die ehemals 250 000 Einwohner zählende Bergarbeiterstadt und die umliegenden Dörfer sind vom Gas, Strom und Wasser abgeschnitten.

Soldaten verscherbeln Waffen

Das Innenministerium berichtete über mehrere Fälle von Waffendiebstahl. Offenbar entwenden immer mehr Soldaten, die an der Anti-Terror-Operation der ukrainischen Armee beteiligt sind, Waffen und andere Ausrüstungen. Bei einem 28-jährigen Mann aus Dnjpropetrowsk wurden mehr als 30 Handgranaten aus Beständen der ukrainischen Streitkräfte beschlagnahmt. Der Mann ist beim Verkauf der Waffen „sehr unprofessionell vorgegangen“, so der Bericht des Innenministeriums. Der Soldat habe versucht, die Waffen über eine Anzeige loszuwerden, die Warenübergabe sollte in seiner Wohnung stattfinden. Dem Mann droht eine Haftstrafe von drei bis sieben Jahren.

Unterdessen haben die Vereinten Nationen (UN) die ukrainischen Behörden aufgefordert, ein einheitliches System zur Registrierung der Binnenflüchtlinge zu erstellen. Bisher soll der Konflikt in der Ukraine 1367 Menschen das Leben gekostet haben. Die humanitäre Situation verschlechtere sich von Tag zu Tag. Derzeit seien 3,9 Millionen Menschen in den Gebieten Lugansk und Donezk von den Kämpfen bedroht. Die Infrastruktur ist in vielen Teilen schwer beschädigt, die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser nur teilweise sichergestellt. Die UN warnte vor dem bevorstehenden Winter. 70 Prozent des Medizinpersonals sei aus den Gebieten geflohen. Heizung und Stromversorgung sei in weiten Teilen der von den Kämpfen betroffenen Gegenden für die nächsten Monate nicht gewährleistet, so der Bericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR.

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