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Dresden-Nachwahl: "Schröder muss jetzt den Platz frei machen"

Nach der Wahl in Dresden steht fest: Die Union hat im Bundestag vier Sitze mehr als die SPD. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt fordete Gerhard Schröder am Wahlabend auf, von seinem Anspruch aufs Kanzleramt abzurücken.

Dresden/Berlin - Lange hatte Dresden nicht so im Blickpunkt der Öffentlichkeit gestanden wie an diesem Sonntag. Erstmals seitdem die Jahrhundertflut 2002 berühmte Bauten der Stadt wie Zwinger und Semperoper unter Wasser setzte, richteten sich wieder Kameras aus aller Welt auf die Elbestadt.

Sie sahen dort bei der Nachwahl im Wahlkreis 160 aber nicht nur eine mögliche Vorentscheidung im Ringen um das Kanzleramt, sondern auch eine Demonstration des überaus komplizierten deutschen Wahlsystems. Unterstützt von der FDP gewann die CDU ein zusätzliches Bundestagsmandat, weil sie die meisten Erststimmen erhielt - aber auch weil sie relativ wenige Zweitstimmen verbuchte. Christ- und Freidemokraten forderten Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum Rücktritt auf.

An diesem Montag tagt das SPD-Präsidium in Berlin und dürfte dabei wohl auch Schlussfolgerung aus dem Ergebnis von Dresden ziehen, bevor am Mittwoch die dritte Sondierungsrunde mit der Union ansteht. Parteichef Franz Müntefering versicherte am Sonntagabend, dass Dresden die Ausgangslage für mögliche Koalitionsverhandlungen überhaupt nicht ändere. Die SPD sei «stärkste Partei» und die CDU/CSU «stärkste Fraktion».

Nach Einschätzung von Wahlforschern hat die SPD ihren Vorsprung bei den Zweitstimmen in Dresden vor allem taktischen Erwägungen im bürgerlichen Lager zu verdanken. Vermutlich nur durch Leihstimmen von Unionswählern kam die FDP, die nur 4,7 Prozent der Erststimmen holte, bei den Zweitstimmen auf 16,6 Prozent. Schon im Wahlkampf hatte die CDU vor allem um die Erststimme geworben, während die FDP-Direktkandidatin die Wahl ihres CDU-Konkurrenten empfohlen und lediglich um die Zweitstimme für die FDP gebeten hatte. Denn hätte die CDU zu viele Zweitstimmen bekommen, dann hätte sie - Paradoxon des deutschen Wahlsystems - ein Überhangmandat verloren.

Die Union zieht nun mit 226 statt 225 Abgeordneten in den Bundestag ein. Bei den Sondierungsgesprächen mit der SPD (222 Sitze) in dieser Woche wird sie nun um so entschlossener ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft in einer großen Koalition geltend machen. «Gerhard Schröder muss jetzt den Platz frei machen für eine Regierungsbildung», sagte Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).

Am Wahltag hatten sich beide Lager in der Kanzlerfrage noch unnachgiebig gezeigt. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in Berlin und Innenminister Otto Schily in Jerusalem bekräftigten noch einmal, dass Schröder für die SPD im Kanzleramt bleiben müsse. Müntefering schränkte am Sonntagabend ein, die Machtfrage müsse im Zuge der Verhandlungen geklärt werden.

Die Nachwahl in Dresden verlängerte den Wahlkampf um zwei Wochen. Während andernorts die Wahlplakate abmontiert wurden, war der Schilderwald in Dresden noch gewachsen. Schröder, Merkel, FDP-Chef Guido Westerwelle, Grünen-Vorsitzende Claudia Roth und die Spitze der Linkspartei mit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi hatten den Wahlkreis kurz vor dem Countdown noch einmal aufgesucht.

CDU-Direktkandidat Andreas Lämmel profitierte nun am Wahltag von den Leihstimmen einer Partei, die bei den Sondierungsgesprächen für die Regierungsbildung gar nicht beteiligt ist. Doch für Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ist eine große Koalition nicht das letzte Wort: Sollten die Gespräche mit der SPD scheitern, dann müssten Union und FDP mit den Grünen über eine Tolerierung sprechen. (tso/dpa)

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