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Politik: Du entkommst dir nicht

Von Moritz Schuller

Es ist der beklemmende Blick ins Seelenleben eines Kindermörders. Am Ende von Fritz Langs Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 windet sich der Triebtäter Hans Beckert, den Peter Lorre spielt, und ruft: „Manchmal ist mir, als ob ich selber hinter mir herliefe. Ich will davon, vor mir selbst davonlaufen, aber ich kann nicht. Kann mir nicht entkommen.“

In die Seelen der Opfer kann niemand mehr blicken, denn sie sind tot. Der neunjährige Peter aus München bleibt tot, sein Mörder, der 28jährige Martin Prinz, wurde gerade aus dem Gefängnis München-Stadelheim nach Straubing verlegt, um ihn vor Racheakten, um sein Leben zu schützen. Die in Stadelheim kannten ihn noch gut, er war dort ja erst im April vergangenen Jahres entlassen worden. Peter war bereits sein zweites Opfer. In Langs Film rufen sie „Abkillen! Totschlagen!“, in Deutschland ist das keine Option, glücklicherweise.

Der Einzelfall ist ein Einzelfall, und Martin Prinz ist eine „Bombe“, wie Sexualtäter genannt werden, deren Zünder immer scharf ist. Er war auch eine Bombe, als er aus der Haft entlassen wurde. Dass nun beklagt wird, es hätte keine rechtliche Handhabe gegeben, Prinz nach der Entlassung zur Erfüllung seiner Auflagen – einer Therapie etwa – zu zwingen, ist richtig. Dass seine Bewährungshelferin immer wieder darauf aufmerksam gemacht habe, ist auch richtig. Noch richtiger ist, dass Prinz gar nicht erst hätte freigelassen werden dürfen. Und dafür hätte kein Gesetz verschärft werden müssen.

Auch wenn das „Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung“ bundesweit erst nach Prinz’ Haftentlassung in Kraft trat, existiert in Bayern auf Landesebene ein entsprechendes Gesetz bereits seit dem 1. Januar 2002. Danach kann auch während der Haftzeit entschieden werden, dass ein Täter nach dem Ende seiner Strafe weiter in Sicherungsverwahrung bleiben muss – wenn er als zu gefährlich gilt, um freigelassen zu werden. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung stellt, wie das Justizministerium betont, „einen der schwersten Eingriffe dar, die unser Strafrecht kennt“. Sie ist ein dramatisches Instrument, kehrt sie doch in gewisser Weise das alte Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ um: „Im Zweifel für den Schutz weiterer potenzieller Opfer“.

Der Weg dorthin war lang, aber „Bomben“ können heute drinbehalten werden. Man muss sie nur erkennen. Ob eine verweigerte Therapie während der Haft schon eine nachträgliche Sicherungsverwahrung rechtfertigt oder die Hoffnung auf Resozialisierung überwiegt, ist eine Entscheidung, die – bei aller Abscheu für die Tat – nicht leichtfertig getroffen werden darf. Der Fall Prinz war aber eindeutig. Die Signale und Warnungen, so weit hatte man ihm in die Seele geblickt, hätten für eine richterliche Anordnung der Sicherungsverwahrung reichen können. Hundertprozentigen Schutz wird es nie geben, das ist banal. Aber es gibt vielleicht Täter, und das gilt es ebenso zu erkennen, denen man nicht mehr helfen kann.

Dass Martin Prinz, der sich nach dem zweiten Mord noch an der Leiche sexuell verging, freigelassen wurde, war ein tödlicher Fehler. Es blieb nicht der letzte. Die Eltern des Opfers, der Vater selbst wegen Vergewaltigung vorbestraft, untersagten ihrem Sohn trotz Warnungen der Bewährungshelferin nicht den Kontakt zu Martin Prinz. Und spätestens hier stößt auch der Staat an seine Grenzen. Das versteht am Ende von Fritz Langs Film selbst der zum Lynchmord bereite Mob: „Man muss eben doch besser auf die Kinder acht geben. Ihr auch!“

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