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Politik: Ecevit kann Neuwahlen in Türkei nicht verhindern Parlament macht Weg frei für Abstimmung im November

Istanbul. Das türkische Parlament hat sich am Montag über einen letzten Appell von Ministerpräsident Bülent Ecevit hinweggesetzt und die Beschlussfassung über vorgezogene Neuwahlen Anfang November eingeleitet.

Istanbul. Das türkische Parlament hat sich am Montag über einen letzten Appell von Ministerpräsident Bülent Ecevit hinweggesetzt und die Beschlussfassung über vorgezogene Neuwahlen Anfang November eingeleitet. Die eigens aus den Sommerferien zurückgerufene Volksvertretung überwies den Vorschlag für Neuwahlen nach der ersten Lesung an den Verfassungsausschuss, der sich mit der Vorlage befassen muss, bevor er dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Nachdem ein All-Parteien-Ausschuss sich vor der Sitzung auf ein beschleunigtes Verfahren geeinigt hatte, dürfte die Abstimmung am Mittwoch stattfinden können; mit einer Mehrheit wird gerechnet.

Damit ist Ecevits letzter Versuch gescheitert, bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im April 2004 im Amt zu bleiben. Ecevit hatte am Sonntag und Montagmorgen seine beiden Koalitionspartner aufgesucht und zur Umkehr beschworen – ohne Erfolg. In einer vom Fernsehen live übertragenen Rede an seine Fraktion legte der Regierungschef vor der Sondersitzung noch einmal seine Argumente gegen Neuwahlen dar. Die krisengeschüttelte Wirtschaft wie die türkische EU-Kandidatur würden dadurch beschädigt, warnte Ecevit. Vor allem müsse verhindert werden, dass die islamistischen und kurdischen Parteien die Stimmen gewinnen könnten, die ihnen in Umfragen vorhergesagt werden. „Wenn diesen beiden Parteien eine Chance gegeben wird, könnte dies den Grundfesten unseres Staates schweren Schaden zufügen“, sagte der Regierungschef; deshalb dürfe es keine Wahlen geben.

Damit erwies sich Ecevit allerdings einen Bärendienst. Wütende Zuschriften überschwemmten im Anschluss an seine Rede die türkischen Nachrichten-Seiten im Internet. „Was ist das für ein Demokratieverständnis?“ empörte sich ein Bürger. „Wer gewählt wird und wer nicht, das entscheiden immer noch die Wähler.“ Die eigentliche Gefahr für die Staatsordnung gehe von Ecevits demokratie-widriger Hetze aus, meinte ein anderer. Mehrere Schreiber riefen nach der Staatsanwaltschaft. „Keine Sorge, Herr Ecevit, die Wähler wissen selbst, für wen sie stimmen“, hieß es in einer Zuschrift. „Sie können sich darauf verlassen, dass Sie die Antwort auf Ihre heutigen Äußerungen an den Wahlurnen bekommen werden.“ Dass es Ecevit bei seinem Widerstand gegen die Neuwahlen vor allem um das Schicksal seiner Partei geht, die bei einem Wahltermin im November dem sicheren Untergang entgegengeht, gilt unter Beobachtern als ausgemacht.

Um die von allen anderen Parteien gewünschten Wahlen doch verhindern zu können, hatte der Ministerpräsident sogar den Rücktritt erwogen. Er hoffte, die Selbstauflösung der Volksvertretung dadurch verhindern zu können. Erst als Berater sagten, dass die parlamentarische Geschäftsordnung hier nicht eindeutig sei, wollte Ecevit doch im Amt bleiben. Susanne Güsten

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