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100 Tage nach dem Start des Untersuchungsausschusses Silvesternacht erhebt die Polizei massive Vorwürfe gegen Politik und Justiz.

© Maja Hitij/dpa

Sexuelle Übergriffe in Köln: Eidesstattliche Erklärung von Hannelore Kraft zum Silvester-Fiasko

Hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin wider besseres Wissen zu spät auf den Silvester-Horror in Köln reagiert? Hannelore Kraft reagiert mit einem ungewöhnlichen Schritt auf solche Vorwürfe.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will bei der Aufklärung des Silvester-Debakels in Köln aus der Defensive kommen. Dafür geht die 54-jährige SPD-Politikerin jetzt einen ungewöhnlichen Weg. In einer im Internet veröffentlichten eidesstattlichen Erklärung hat sie versichert, dass sie vor dem 4. Januar mittags keinen Kontakte mit dem Innenminister und ihrer Hausspitze wegen der massenhaften Übergriffe hatte.

Fünf weitere gleichlautende Erklärungen sind auf der Seite der Staatskanzlei veröffentlicht: von Innenminister Ralf Jäger (SPD) und seinem Staatssekretär, dem Staatskanzleichef und seiner Staatssekretärin sowie dem Regierungssprecher. Der „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“ des Düsseldorfer Landtags prüft seit 100 Tagen unter anderem, ob Kraft und Jäger schon früher über die Dimension Bescheid gewusst und zu spät reagiert haben.

Hannelore Kraft veröffentlichte im Internet eine eidesstattliche Erklärung.

© Federico Gambarini/dpa

Kraft weigert sich aber, dem Ausschuss Daten über sämtliche von ihr und ihrer Hausspitze bis zum 15. Januar geführten Telefonate vorzulegen. Das geht aus einem Brief an den Ausschussvorsitzenden Peter Biesenbach (CDU) hervor, der der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf vorliegt.

Die Amtschefin der Staatskanzlei, Anja Surmann, lehnt die Forderung von CDU und FDP in einem Schreiben aus mehreren Gründen ab. Da die Inhalte nicht aus den Verbindungsnachweisen hervorgingen, wären sie letztlich nur in persönlichen Befragungen zu ermitteln, argumentiert sie. Außerdem würde ein solcher Schritt in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eingreifen. Zudem sei der Kernbereich des Regierungshandelns geschützt. „Es wurde nichts vertuscht“, versichert die Staatskanzlei in einer ausführlichen Erklärung und Dokumentation zur Silvesternacht im Internet.

Sämtliche sogenannte „WE-Meldungen“ des polizeilichen Lagezentraums über „wichtige Ereignisse“ in der Silvesternacht sind in der Faktensammlung abgebildet - die erste vom 4. Januar um 14.36 Uhr. Erst die anwachsende Berichterstattung über die massenhaften sexuellen Übergriffe, die bisherigen Ermittlungen zufolge überwiegend Marokkaner und Algerier verübt haben sollen, habe die Dimension in der Folge deutlich gemacht. Zuvor habe niemand es für wichtig gehalten, die Ministerpräsidentin zu informieren, „da die Notwendigkeit zu handeln nicht erkennbar war“.

100 Tage Untersuchungsausschuss

Kraft soll selbst als Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages aussagen. Ein Termin steht noch nicht fest.

Der „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“ des Düsseldorfer Landtags tagt am 28. Mai seit 100 Tagen und hat bisher mit rund 40 Zeugen gehört. In dem 26-köpfigen Gremium geht es um Vieles: um Aufklärung, künftigen Opferschutz, aber auch um Parteipolitik und den Kopf des nordrhein-westfälischen Innenministers Jäger. Die Opposition will den 55-Jährigen für das Versagen der Polizei in Organisationsverantwortung nehmen.

Jäger lehnt jedoch persönliche Konsequenzen ab und hat stattdessen den Kölner Polizeipräsidenten ablösen lassen. Obwohl damit längst nicht alles geklärt ist, hat die Opposition bislang aber kein verfängliches Indiz zutage gefördert, das Jäger zum Rücktritt zwingen würde.

Den Piraten geht das - obwohl sie von Anfang an den Rücktritt des Innenministers verlangt hatten - zu weit. „Ich will mir gar nicht vorstellen, was in den Opfern vorgeht“, sagt ihre stellvertretende Landtagsfraktionschefin Simone Brand der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. CDU und FDP verstrickten sich im kleinen Karo mit dem Ziel, die Regierung Kraft bis zur Landtagswahl in einem Jahr zu demontieren. In diese Richtung würden alle Zeugenaussagen interpretiert. „Ich schäme mich dafür“, bilanziert die Diplom-Psychologin die bisherige Außenwirkung des Gremiums.

Opfer werden nicht gehört

Die Opfer haben im Ausschuss keine Stimme und sind auch als Zeugen nicht geladen. Ihr Schicksal lässt sich hinter den nüchternen Zahlen der Kölner Staatsanwaltschaft kaum erahnen: Bis Mitte Mai lagen 1171 Strafanzeigen vor, davon 491 wegen sexueller Übergriffe. Bislang wurde noch keiner wegen eines Sexualdelikts verurteilt.

Juristen halten das angesichts der dünnen Beweislage aus jener Nacht, in der Frauen - eingekesselt in großen Männergruppen - von ungezählten Händen begrapscht wurden, auch für schwierig. Von bislang 159 Beschuldigten sind fast zwei Drittel Algerier und Marokkaner.

Aus den bisherigen Zeugen-Aussagen zeichnet sich ein Zuständigkeitswirrwarr zwischen Landes- und Bundespolizei, städtischen Behörden und Bahn-Verantwortlichen ab. Kommunikation und Sicherheit blieben dabei auf der Strecke.

In den jeweiligen Hierarchien gab es zwar viele Häuptlinge, die am Silvesterabend jeweils in ihren eigenen Zirkeln konferierten. Aber keiner bekam mit, dass sich derweil vor dem Hauptbahnhof schon Hunderte teils stark alkoholisierte, aggressive junge Migranten zusammenrotteten. Und keiner hielt am Ende die Fäden in der Hand.

Eine erstaunliche Lehre aus einer Zeugenaussage des Kölner Ordnungsamtschefs: Die Stadt hatte kein Sicherheitskonzept, weil Silvester keine ordentliche Veranstaltung ist, und es damit auch keinen offiziellen Veranstalter gibt. „Alle haben ihre Choreographie durchgezogen wie sie es immer gemacht haben“, bilanziert Piratin Brand. Dies stellt auch der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach fest: „The same procedure as every year“ - dieselbe Prozedur wie jedes Jahr, sei in der Silvesternacht offenbar das Motto gewesen.

Die Polizei will das nicht auf sich sitzenlassen. „Es war die Politik, die verhindert hat, dass genügend Polizisten eingestellt werden, damit die Polizei an den Brennpunkten der Gewalt Präsenz zeigen kann“, sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, der dpa. „Es war die Politik, die dafür gesorgt hat, dass die Polizei selbst Serientäter immer wieder laufen lassen muss, weil ihre Taten als Jugenddelikte verharmlost werden.“ (dpa)

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