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Politik: Ein abgekämpfter Brandt

Birthler-Behörde legt Akten zu Ex-Bundestagsabgeordneten vor – darunter Material über den Altkanzler

Von Matthias Schlegel

Berlin - „Nach Schluss des Landesparteitages der SPD kehrten einige Teilnehmer im Cafe ,Zur Gieraffe’ (Hochhaus Hansa-Viertel) ein. In einer Tischrunde entwickelte sich folgendes Gespräch über Willy Brandt: N.N. (Name geschwärzt) war der Meinung, dass Brandt einen sehr abgekämpften Eindruck hinterlassen hat.“

So waren sie, die Berichte der Stasi-Schergen und ihrer Zuträger: schwankend zwischen Banalität und Professionalität, orthografisch mangelhaft, aber detailversessen. Am Mittwoch gab die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, die Akten über einen Teil jener Bundestagsabgeordneten der 6. Wahlperiode heraus, die vor, während oder nach der Legislatur 1969 bis 1972 von der Stasi registriert worden waren. Nach neuesten Erkenntnissen aus den Rosenholz-Dateien waren es insgesamt 48 Parlamentarier. Über 16 von ihnen wurden nun Unterlagen bereitgestellt. Bei fünf von ihnen ist eine Stasi-Mitarbeit bereits bekannt. Die Rolle der elf anderen im Zusammenhang mit dem DDR-Geheimdienst ist zumindest unklar. Sie sind alle verstorben.

Prominente sind darunter: neben Brandt auch Herbert Wehner und Franz Josef Strauß. Über sie tauchen in den Akten fast nur sie selbst betreffende Berichte auf. So heißt es in einer Stasi-„Kurzeinschätzung“ über Brandt vom 11.11.69: Der frühere schwedische Ministerpräsident Erlander halte offenbar kompromittierende Dokumente über den Kanzler unter Verschluss; der britische Stadtkommandant habe sich schon mal über Brandts Auftreten als Regierender Bürgermeister beschwert; eine Affäre um Brandt sei entstanden, als dieser der Tochter des Kriegsverbrechers Speer aus Anlass der Haftentlassung ihres Vaters 1966 einen Blumenstrauß geschickt habe.

Stasi-Chef Erich Mielke persönlich wies am 1. Juli 1970 an, über Strauß folgendes Material zu beschaffen: „Dokumentarische Unterlagen über die Militär- und Studienzeit von Strauß sowie über Hitler- und Bundeswehr-Generale, Offiziere und andere Personen, mit denen Strauß nach 1945 bis heute eng zusammenarbeitetete …“ Wie Brandt (erstmals am 6.4.1954 erfasst) und Wehner (Beginn des Vorgangs 18.4.1953) ist auch Strauß (Erfassungsbeginn 7.12.1953) in den Stasi-Karteien registriert.

Der Wissenschaftler Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, sieht diese prominenten Politiker durch die Aktenlage entlastet. „Die Stasi war bei ihnen in erster Linie an kompromittierendem Material interessiert“, sagt er. Anders beurteilt er manche der übrigen Fälle. Wenn etwa im Zusammenhang mit dem Namen der SPD-Bundestagsabgeordneten Lenelotte von Bothmer rund 280 Berichtseingänge über die Lage in der SPD registriert worden seien, falle es schwer anzunehmen, sie sei nur abgeschöpft worden.

Auch unter den Registriernummern der übrigen Parlamentarier sind zum Teil viele Berichtseingänge verzeichnet. Es handelt sich um William Borm (FDP), Gerhard Flämig (SPD), Julius Steiner (CDU), Leo Wagner (CSU) und Karl Wienand (SPD), bei denen als erwiesen gilt, dass sie IM waren. Steiner und Wagner waren von der Stasi gekauft worden, um im April 1972 das Misstrauensvotum gegen Kanzler Brandt scheitern zu lassen. Ferner tauchen in den Akten die Abgeordneten Hugo Brandt, Eberhard Brünen, Wilhelm Dröscher, Kurt Mattick, Georg Schulhoff, Richard Tamblé und Rudolf Werner auf.

Die Fachleute der Birthler-Behörde betonten am Mittwoch noch einmal ausdrücklich: Allein die Tatsache, dass bei einer Person ein IM-Vermerk (IMA oder IMB) vorliege, lasse nicht automatisch auf eine Stasi-Mitarbeit schließen. Genauso gut könnten IMs in ihrer Umgebung platziert worden sein. Erschwert wird die Einschätzung der Personen auch dadurch, dass keine Berichte selbst, sondern nur Verzeichnisse über deren Titel vorliegen. Die Geschichte der Bundesrepublik wird mit diesen Akten nicht neu geschrieben werden müssen. Aber Wissenschaftler und Journalisten haben einen großen Fundus für weitere Recherchen.

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