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Politik: "Ein altes Schlachtross braucht auch mal eine neue Wiese"

Geschichten kann er erzählen, und Geschichten könnte man über ihn erzählen: Norbert Blüm ist einer von denen, die man heute so gerne zu den politischen Originalen zählt. Das hört sich folkloristisch an - und ist auch so gemeint.

Geschichten kann er erzählen, und Geschichten könnte man über ihn erzählen: Norbert Blüm ist einer von denen, die man heute so gerne zu den politischen Originalen zählt. Das hört sich folkloristisch an - und ist auch so gemeint. Wenn der "Nobbi" in seinem hessischen Singsang auf den Parteitagen versuchte, aus der Lage der Rentenkassen einen Wahlkampfschlager zu machen für die Massen ... Dann gelang das sogar. Mehrere Male. 16 Jahre immerhin hat Blüm in der Regierung den Titel "Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung" geführt, dazu den Ehrentitel "Kohls Knappe". Das ist beides vorbei, das war im vorigen Jahrhundert, und beides ist mit Niederlagen verbunden. Nun räumt Norbert Blüm auch seinen Platz an der Spitze der CDU, als stellvertretender Bundesvorsitzender. Aber ohne Niederlage.

Blüm ist wehmütig, aber wohlgelaunt. Er, der im Rheinland, im alten, von der Politik verlassenen Bonn seine Heimat gefunden hat, weiß, dass ein Lied der legendären Trude Herr stimmt: "Niemals geht man so ganz." Ja, der Norbert: Da kommt das soziale Gewissen der CDU. Ein Gewerkschafter ist der gelernte Werkzeugmacher aus Rüsselsheim, der auch schon mal in Ankara einen Kronleuchter anbrachte, immer geblieben. Blüm ging weiter auf Gewerkschaftstage, trotz allem, trotz der Jahre, in denen seine Kollegen ihn als Totengräber des Sozialstaats beschimpften. Heute muss er ihnen geradezu als Hüter desselben erscheinen. Und das bleibt von ihm: Unter ihm waren die Renten noch sicher ... Bald wird er 65.

Er kann reden, erzählen - aber auch schreiben, und schreibend erzählen. Angefangen hat er damit als Redakteur bei der "Sozialen Ordnung", heute gibt es Bücher von ihm, und es werden noch mehr werden, jetzt, wo er sich aus der vordersten Reihe zurückzieht. Was gerade klingt wie ein Abgesang, ist aber keiner: "Man muss sich ab und zu rausschmeißen aus der Routine", sagt Blüm. Er sagt es verschnupft, allerdings nur, weil er erkältet ist. Seinen Platz in der CDU-Führung wird, dafür will er schon sorgen, wieder einer aus seinem Landesverband Nordrhein-Westfalen übernehmen. Zum Schluss war zwar nichts mehr Routine, aber es reichte dann doch. Immerhin saß er seit 1981 im Präsidium der Partei.

Und jetzt? Was nun, Herr Blüm? Aufhören? Er lacht. Leise. Und sagt: "Nehmt euch in Acht, der Herr kann stündlich über euch kommen." Das hätte man sich denken können. Einer wie er, der kann von der Politik nicht lassen. Er bleibt doch im Bundestag. Politik ist für ihn Leben, und der Mann steht ja, wie es die Partei immer verspricht, "mitten im Leben". Entwicklungspolitik will Norbert Blüm nun vorrangig machen, und die hat er, wenn man es recht bedenkt, sein Leben lang gemacht.

Geschichten kann man über ihn erzählen ... Wie er vor Jahrzehnten den Polen zugerufen hat: "Marx ist tot, Jesus lebt!" Oder wie er sich damals in Chile abfällig über den Diktator Augusto Pinochet geäußert hat - da hat daheim nicht nur der Franz Josef Strauß getobt. Und er kann in Bildern reden, die man einfach aufschreiben muss: "Ein altes Schlachtross braucht auch mal eine neue Wiese." Oder: "Ich fühle mich frei wie ein Vogel. Nicht gerade wie ein Adler, aber eine Wildente reicht mir schon."

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