zum Hauptinhalt

Politik: Ein Arbeitspapier erregt Unmut

Auf den Seiten sechs und sieben bringt der Verfasser aus dem Arbeitsministerium seine Abwägungen in eine übersichtliche Tabelle. Drei Spalten in der Kopfzeile für die politischen Ziele, darunter jeweils die Bewertung, wie Variante 1 bis Variante 4 diesen Zielen genügen.

Auf den Seiten sechs und sieben bringt der Verfasser aus dem Arbeitsministerium seine Abwägungen in eine übersichtliche Tabelle. Drei Spalten in der Kopfzeile für die politischen Ziele, darunter jeweils die Bewertung, wie Variante 1 bis Variante 4 diesen Zielen genügen. "Beitragssatz stabiliseren, Bundeshaushalt konsolidieren", lautet Ziel Nummer eins.

Variante 3, die im Erläuterungspapier aus dem Kanzleramt favorisiert wird, hat in diesem Punkt eine schlechte Bewertung: "Zunächst erfüllt, im weiteren Konsensprozess aber gefährdet." Ziel zwei heißt: "Chance für die Durchsetzung der Strukturreform offenhalten." Note für Variante drei: "Erfüllt". Und "Erfüllt" lautet das Urteil auch beim dritten Ziel. Das hat der Verfasser so formuliert: "Rententhema für die Landtagswahlen im Frühjahr 2000 entschärfen."

Das vierseitige Erläuterungspapier aus dem Kanzleramt enthält schon im ersten Absatz den dringenden Hinweis: "Das Papier ist absolut vertraulich." Am Donnerstag ist es im "Handelsblatt" referiert worden, und am gleichen Tag folgten die Dementis von Kanzleramtschef Frank Steinmeier und von Arbeitsminister Walter Riester. Sie sind insofern glaubwürdig, als die Veröffentlichung den Ansatz auf jeden Fall zunichte gemacht hat, unabhängig davon, wie ernst Arbeitsminister Riester die Variante drei je genommen haben mag.

Am 7. Oktober, das bestätigen auch die Dementis, hat ein Gespräch zwischen Steinmeier und Riester stattgefunden, für das die genannten Papiere verfasst worden sind. Beides sind Papiere auf "Arbeitsebene". "Ziel des Vorgehens sollte es sein", heißt es im Kanzleramtspapier, "bis zum Parteitag der SPD (7.-9.12.99) eine Offensive zur Rentenstrukturreform zu starten."

Bis dahin müsse klar sein, daß "die Bundesregierung einen parteiübergreifenden Kompromiss mit der Opposition ernsthaft anstrebt, entweder die Kompromissgespräche dann laufen, oder aber die Verantwortung für ein Scheitern glaubhaft bei der Opposition liegt. So kann eine populistische Kampagne der Opposition zu den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zumindest in der Tendenz verhindert werden."

Mitte Oktober, wird empfohlen, solle der Kanzler der Opposition Konsens-Gespräche zur Rente anbieten, dabei solle auch Gesprächsbereitschaft im heißesten Punkt signalisiert werden: Bei der Rentenanpassung für die beiden nächsten Jahre, die lediglich als Inflationsausgleich erfolgen soll. "Die Bundesregierung sollte eine interne Verhandlungslinie haben, die in etwa auf der Linie des Vorschlags des DGB liegt (1,7 Prozent Erhöhung statt 0,7 Prozent)."

Das Papier beziffert auch die Kosten: eine Millliarde mehr an Bundeszuschuss und 0,2 bis 0,3 Punkte bei den Beitragssätzen für die Rentenkassen. Ganz deutlich sagt das Papier: "Ein solcher Kompromiss bedeutet eine teilweise Abkehr vom Sparpaket. Das Nachgeben... ist der fiskalische Preis für einen politischen Erfolg an der Rentenfront."

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich die Reaktion Steinmeiers oder des Kanzlers auf solche Ansinnen vorzustellen. Das Festhalten am Sparpaket war über vier schwere Wahlniederlagen die einzige verbindliche Botschaft des Bundeskanzlers an die Wähler und an die SPD. Die Rentenanpassung auf Inflationsniveau wiederum ist fester Teil des Sparpakets.

Heinrich Tiemann, dessen Name unter dem Kanzleramtspapier steht, ist aus dem Arbeitsministerium ins Kanzleramt gekommen. Man hat in "einem vertraulichen Strategiegespräch" (wieder das Kanzleramtspapier)"strategische Varianten" diskutiert. Aus denen kommt trotz der Dementis eine klare Botschaft: Die Not im Regierungslager ist groß. Und man muss daraus den Schluss ziehen, dass im Umfeld des Arbeitsministeriums der Spielraum im Umgang mit dem Sparpaket anders bewertet wird als von der Spitze des Kanzleramts. Wieder einmal.

Vor einer Woche erst hat Gerhard Schröder einen Alleingang Riesters offiziell begrüßen müssen, bei dem ihm in Wahrheit die Hutschnur geplatzt ist: den gemeinsamen Auftritt mit IG-Metall-Chef Klaus Zwickel für die "Rente mit 60". Kurz zuvor hatte sich der Kanzler trotz seiner deutlichen Ablehnung für das "Rente mit 60"-Konzept achtbar vor dem Metaller-Gewerkschaftstag geschlagen.

Unglaubwürdig wirkte die Regierung nun nicht nur bei den Gewerkschaften. Heftiger Protest kam zudem aus dem Lager der Arbeitgeber. Minister Riester, und damit die Bundesregierung, habe einseitig Partei genommen bei einem Thema, über das die Tarifparteien im Konflikt stünden - eine harte Bewährungsprobe für das ohnehin stagnierende "Bündnis für Arbeit".

Das Vertrauensverhältnis des Bundeskanzlers zum Arbeitsminister hat sich im Lauf eines knappen Regierungsjahres erschöpft. Ob bei den 630-Mark-Jobs, Scheinselbständigkeit oder - immer wieder - beim Großthema Rente, werden Riesters Vorlagen aus dem Kanzleramt durch offene Machtworte des Regierungschefs oder verdeckte Korrekturen revidiert.

Riester, der vom Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder überraschend und gegen die bewährten Sozialexperten der SPD-Fraktion zunächst ins Wahlkampfteam, dann ins Kabinett berufen wurde, hat auch in der Fraktion viel Rückhalt verloren. Doch Riester, der für ein sozialdemokratisches Kernthema zuständig ist, kann deshalb auch nur sehr schwer ersetzt werden.

So bleibt die interessante Frage nach Einzelheiten des Vorgangs: Wie sind diese merkwürdigen Papiere, die kein Journalist an der Pförtnerloge finden kann, an die Öffentlichkeit gelangt? Die Sache schadet allen Beteiligten, aber dem Arbeitsminister am meisten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false