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Politik: Ein bisschen Friede

Frankreichs Sozialisten wollen sich bis zu den Parlamentswahlen im Juni nicht streiten – dann wird um die Parteilinie gekämpft

Die Zeit der Abrechnung ist noch nicht gekommen. Auf einer Sitzung des engeren Parteivorstands beschlossen Frankreichs Sozialisten am Montagabend, die fällige Debatte über die Gründe ihrer dritten Niederlage in Folge bei Präsidentschaftswahlen zu vertagen. Stattdessen wollen sie unter dem Banner der Einigkeit zu den im Juni anstehenden Parlamentswahlen antreten. Auf einer weiteren Vorstandssitzung am Wochenende sollen die „kollektive Führungsmannschaft“ in den Sattel gehoben und die Wahlplattform verkündet werden.

Schadensbegrenzung lautet also die Parole. Doch wie gespannt die Atmosphäre in der Parteiführung ist, dokumentieren einzigartige Bilder, die der Fernsehsender France 2 am Montagabend ausstrahlte. Ein Reporter hatte am Wahlabend seine Kamera aus einer Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf des Büro des Parteichefs der Sozialisten, François Hollande, gerichtet und mit dem Teleobjektiv die Szene der Aussprache zwischen ihm und der unterlegenen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal eingefangen. Die Gestik Royals verriet den Ton des Gesprächs, das sie mit einer wie mit einem Messer geführten Handbewegung beendete, so als ob sie sagen wollte: So wird es gemacht. Und so kam es dann auch, als sie in der anschließenden TV-Ansprache ihren politischen Führungsanspruch in der Partei anmeldete.

Das war eine Herausforderung an den Parteichef, der zudem ihr Lebensgefährte ist, und an die anderen Schwergewichte der Sozialisten, wie sie noch kein Wahlverlierer seit den Zeiten François Mitterrands gewagt hatte. Und so antworteten diese auch sofort mit Schuldzuweisungen an die Verliererin. „Die Fahne der Linken liegt am Boden“, hielt ihr der frühere Premierminister Laurent Fabius vor. Der ehemalige Finanzminister Dominique Strauss-Kahn machte für die „schwere Niederlage“ nicht Royal persönlich verantwortlich. Stattdessen attackierte er Hollande wegen der seit Jahren ausgebliebenen Erneuerung der Partei.

Nach dem am Montag beschlossenen Burgfrieden wird es keinen öffentlichen Schlagabtausch mehr geben. Doch hinter den Kulissen geht der Streit um die künftige Ausrichtung der Partei weiter. Im Mittelpunkt steht die Frage eines „Aggiornamento“ nach dem Vorbild des Godesberger Parteitags, mit dem sich die deutschen Sozialdemokraten schon 1958 von ideologischem Ballast befreiten. „Wir kleben noch zu sehr an den Mitterrand-Jahren“, erklärte der sozialistische Europaabgeordnete Benoît Hamon. Mit einem archaischen Programm, das auch Verstaatlichungen einschloss, und einem Bündnis mit den Kommunisten hatte Mitterrand die Linke 1981 zum Sieg geführt. Doch Royal hatte früh erkannt, dass links von den Sozialisten keine Stimmen mehr zu holen sind. Im Wahlkampf hatte sie sich von der Partei abgesetzt und Erfolge des britischen Premiers Blair und der skandinavischen Sozialdemokraten als Vorbild genannt. Auf diesem Weg will Royal die Partei mit sich ziehen und 2012 erneut in den Präsidentschaftswahlkampf führen. Auch Strauss-Kahn will eine programmatische Modernisierung. Er hält sich selbst aber mehr als Royal für fähig, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Dem widersetzt sich Fabius: Die Partei müsse „klar links“ stehen. Die Sozialisten stehen damit vor einem Machtkampf, der nur aus Rücksicht auf die Parlamentswahl nicht schon jetzt ausgetragen wird. Dass sie die gewinnen könnten, ist jedoch wenig wahrscheinlich. Hollande wird noch einige Zeit Parteichef bleiben. Dienstag rief er die Gegner des gewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy zur Ruhe auf, nachdem es zum zweiten Mal zu nächtlichen Zusammenstößen zwischen jugendlichen Randalierern und der Polizei gekommen war.

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