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Politik: Ein bisschen Lenkung

EUROPA UND RUSSLAND

Von Christoph von Marschall

Der Mann hat Blut an den Händen, führt seit Jahren einen brutalen Krieg, lässt unliebsame Medien schließen, locht jetzt einen Unternehmer ein, damit der nicht zum politischen Konkurrenten aufsteigen kann, und lässt Aktienpakete beschlagnahmen. Dennoch werden Europas höchste Repräsentanten, Ratspräsident Berlusconi und Kommissionspräsident Prodi, Wladimir Putin in Rom herzlich begrüßen, ihm auf die Schulter klopfen, mit ihm lachen und scherzen. Und wäre Kanzler Schröder dabei, würde er den Freund wie stets umarmen. Ein Skandal? Oder die Zwänge des internationalen Geschäfts?

Helmut Kohl ließ vor dem Treffen mit Südafrikas Präsidenten Botha 1984 das Besuchersofa entfernen, um auszudrücken: Das Gespräch mit ihm ist nötig, aber nicht herzlich. Mit Putin kann man das nicht machen. Erstens zielt eine solche demonstrative Brüskierung auf die Zuschauergalerie, tötet jedoch jede Hoffnung auf Entgegenkommen im Ansatz. Zweitens ist Russland kein fernes Land, sondern ein mächtiger Staat in Europa, mit dem die EU eine strategische Partnerschaft eingegangen ist. Drittens haben die Europäer diesem Putin einiges zu verdanken – wie zuvor Boris Jelzin, einer ebenso zweischneidigen Persönlichkeit in einem widersprüchlichen Land. Die Welt hat Glück gehabt, dass der Zerfall des sowjetischen Imperiums, dieser atomar hochgerüsteten Supermacht, so gnädig ablief: ohne größere Bürgerkriege, ohne den Putsch radikaler Kräfte, ohne Rückfall in eine Diktatur Stalinscher Prägung. Das ist auch Jelzins und Putins Leistung. Russland probt Ansätze zu Marktwirtschaft und Demokratie. Und erweist sich international überwiegend als berechenbarer Partner. Dieses Russland verdient Unterstützung und Dank.

Aber ist das Grund genug, beide Augen zuzudrücken? Oder umgekehrt einer, besonders genau hinzusehen? Graf Lambsdorff, FDP, stellt Moskaus Teilnahme an G 8, dem Club der wichtigsten Industrieländer, infrage. Von der Bundesregierung dagegen hört man kein lautes Wort der Kritik, nicht einmal der Besorgnis. Der SPD-Außenpolitiker Erler wiegelt ab, der Schaden sei überschaubar, wenn der Umgang mit dem Ölmagnaten Chodorkowskij ein Einzelfall bleibe. Überschaubar? Wenn in Moskau rechtsstaatliche Grundsätze missachtet werden, wenn ernst zu nehmende Fachleute mahnen, die weitere Demokratisierung sei bedroht, die russische Börse abschmiert und ausländische Investoren abspringen aus Furcht, demnächst könnten auch sie enteignet werden? Die US-Regierung hat viel schärfer reagiert, ohne Rücksicht darauf, dass sie auf Moskaus Kooperation im UN-Sicherheitsrat angewiesen ist.

Der Fall Chodorkowskij ist keine innere Angelegenheit Russlands. Das Argument könnte gerade noch durchgehen, wenn es sich um China handelte oder Saudi-Arabien: Länder, die in Sachen Menschenrechte, Demokratie und wirtschaftliche Öffnung weit problematischer sind. Mit ihnen verbindet den Westen nur eine überschaubare Zahl einträglicher Wirtschaftskooperationen, nicht aber eine strategische Partnerschaft. Gegenüber Moskau darf es keine Abwägung zwischen Wirtschaftsinteressen und politischen Forderungen geben. Dass Deutschland mehr Öl und Gas von Freund Putin bezieht als aus Saudi-Arabien, ist ebenso unerheblich wie die Frage, ob Russland oder China das größere Zukunftsgeschäft versprechen.

Sinn und Inhalt der Partnerschaft stehen jetzt auf dem Spiel, das Strategische an ihr muss sich nun bewähren. Sie stellt Europa nicht nur vor die Aufgabe, mehr Verständnis für die russischen Realitäten und die Grenzen schnell erzielbarer Veränderungen aufzubringen. Sondern auch vor die Verantwortung, Einspruch zu erheben, wenn die Entwicklung Anlass zu Besorgnis gibt. Es ist im Übrigen keine Partnerschaft mit Putin, sondern eine mit dem Volk und dem Land. Der Fall Chodorkowskij lehrt, dass der Westen helfen kann. Nach dessen Rücktritt übernahm ein Russe mit US-Pass die Unternehmensführung, was neue Eingriffe erschwert. Wer hofft, dass sich Demokratie und Rechtsstaat irgendwann auch in Russland durchsetzen, muss Putin dort helfen, wo auch er dieses Ziel verfolgt. Aber konsequent der Gesellschaft zur Seite springen, wenn dieser Präsident mal wieder auf gelenkte Demokratie setzt und die „Diktatur des Rechts“ propagiert.

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