zum Hauptinhalt
Weiter Entscheidungsweg. Bevor es wirklich zu einer Abstimmung kommt, müssen viele Hürden genommen werden. Foto: ddp

© ddp

Politik: Ein bisschen mehr Demokratie

Das Europaparlament macht den Weg für Bürgerbegehren frei

Erstmals beteiligt die EU das Volk direkt. Die Regeln für eine Bürgerinitiative stehen. Ab 2012 können eine Million Europäer zumindest erzwingen, dass ihr Anliegen in Brüssel öffentlich angehört wird und die EU-Kommission sich äußert.

Die ersten Unterschriften sind schon da. Am vergangenen Donnerstag übergab die Umweltschutzorganisation Greenpeace in der Brüsseler Kommission Listen mit den Namen von mehr als einer Million EU-Bürgern, die einen Anbaustopp für gentechnisch veränderte Pflanzen fordern. Welche Konsequenzen das hat, ist aber noch unklar, obwohl die Grundzüge schon im seit einem Jahr geltenden Lissaboner Vertrag festgehalten sind. Die exakten Regularien aber, wie solche Bürgerwünsche in Europa behandelt werden, sind erst am Mittwoch vereinbart worden.

Vizekanzler Guido Westerwelle sagte, die neue Bürgerinitiative werde „das manchmal ferne Europa sehr viel näher ans Volk bringen“. Das Ganze sei als „Einladung“ zu verstehen, in Brüssel mitzumischen. „Das wird eine grenzüberschreitende Debatte darüber befördern, was wir in der EU tun und was wir tun sollten“, sagte Maroš Šefcovic, der Vizepräsident der EU-Kommission: „Das kann dazu beitragen, dass sich eine echte europäische Öffentlichkeit entwickelt.“

Carsten Berg hat dafür lange gekämpft. Der Brüsseler Vertreter des deutschen Dachverbandes „Mehr Demokratie e.V.“ bearbeitete schon vor acht Jahren die Vertreter des Europäischen Konvents während ihrer Arbeit am EU-Verfassungsentwurf, aus dem schließlich der Lissaboner Vertrag hervorging. Er wertet die neue Bürgerinitiative – „das erste transnationale, plebiszitäre Element überhaupt“ – denn auch als „Riesenerfolg“, weil sie „nicht auf der Wunschliste der Staats- und Regierungschefs“ stand. Jetzt muss sie innerhalb eines Jahres in die nationale Gesetzgebung der 27 EU-Staaten übernommen werden. Trotzdem stellt das neue Instrument für Carsten Berg nur „einen allerersten Schritt“ dar.

Die Hürden, die übersprungen werden müssen, fallen nach der Intervention des Parlaments niedriger aus, als das die Kommission im ersten Gesetzesvorschlag vorgesehen hatte. Es geht damit los, dass sich sieben Menschen aus mindestens sieben Mitgliedstaaten zu einem sogenannten Bürgerausschuss zusammentun müssen. Wichtig ist, dass es sich dabei um natürliche Personen handelt. Juristische Personen wie Unternehmen oder Parteien sind davon ausdrücklich ausgenommen, wiewohl sie das Anliegen mit Geld und Einsatz unterstützen dürfen – vorausgesetzt, sie tun das offen und transparent.

Im Gegensatz zum ersten Vorschlag, der vorgesehen hatte, die Rechtmäßigkeit des Anliegens erst bei 300 000 gesammelten Unterschriften überhaupt zu prüfen, geschieht dies nun sofort. Eingereicht werden dürfen nämlich nur Anliegen, für die die EU-Kommission nach EU-Recht auch zuständig ist. So dürfte etwa noch strittig werden, ob es sich bei der von der SPD angekündigten Unterschriftenaktion für eine europaweite Finanztransaktionssteuer um ein solches Anliegen handelt. Einerseits liegt die Steuerpolitik jenseits der Brüsseler Kompetenz und in den Händen der Mitgliedstaaten. Andererseits gibt es im neuen Vertrag einen Passus, der auch der EU-Kommission das Recht einräumt, eine Vertragsänderung vorzuschlagen, die dafür nötig sein könnte.

Dann jedoch beginnt die eigentliche Arbeit. Innerhalb von nur zwölf Monaten und nicht wie in der Schweiz 18 Monaten müssen mehr als eine Million Unterstützer gefunden werden. Und das in mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten, zurzeit also in mindestens sieben. Dass das nicht so einfach ist, zeigt das Beispiel des großen Europäischen Gewerkschaftsbundes. Er scheiterte damit, für seine Initiative gegen eine Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge genug Autogramme beizubringen. Den Anliegen kleinerer Organisationen droht das erst recht – nicht zuletzt, weil es keinerlei finanzielle Hilfe gibt.

Größter Kritikpunkt von „Mehr Demokratie e.V“ ist jedoch die Datensammelwut. Zwar ist die Bundesregierung davon abgerückt, von den Teilnehmern an einer solchen Bürgerinitiative die Passnummer zu verlangen. In mehr als 20 Ländern jedoch soll genau dies der Fall sein. „Der Zwang zur Vorlage des Ausweises stellt nicht nur eine unnötige und datenschutzrechtlich problematische Hürde dar“, so der Grünen-Europaabgeordnete Gerald Häfner, einst Gründer von „Mehr Demokratie“, „sondern könnte in vielen Ländern die Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, eine Europäische Bürgerinitiative zu unterzeichnen.“ Zudem gehört ein klassisches Bürgerbegehren, womit eine bindende Volksabstimmung vorgesehen ist, nicht zu dem neuen Gesetz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false