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Politik: „Ein Einsatz in Kundus ist verantwortbar“

Die Entwicklungsministerin über die Sicherheit in Afghanistan, ein neues UN-Mandat – und das Mittelalter

Deutschland will Soldaten und Helfer nach Kundus entsenden. Dort sind aber schon Hilfsorganisationen aktiv, und sie fühlen sich sicher. Planen Sie einen PlaceboEinsatz?

Zunächst einmal ist festzuhalten: Es geht darum, Afghanistan insgesamt wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich wieder aufzubauen. Bei Kundus handelt es sich um eine Region von der Größe Bayerns und Hessens zusammengenommen. Dort hat etwa maximal zehn Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser. Es gibt deshalb zahlreiche Aufgaben für zusätzliche Helferinnen und Helfer.

Könnten die deutschen Soldaten nicht sinnvoller an anderen, gefährlicheren Orten eingesetzt werden?

Deutschland ist hier doch nicht allein zuständig. Auch andere Nationen sind eingeladen, sich zu engagieren. Wir haben uns für Kundus entschieden, weil wir hier Aufgaben sehen, und weil wir glauben, dass wir es verantworten können, deutsche Kräfte dorthin zu schicken. Und diese Verantwortung kann niemand anders tragen.

Hilfsorganisationen kritisieren auch, dass Soldaten und Helfer gemeinsam auftreten. Sie fürchten um ihre Unabhängigkeit.

In Kabul hat noch keine einzige Hilfsorganisation kritisiert, dass dort die Isaf präsent ist. Was in Kabul erfolgreich ist, kann doch in Kundus nicht falsch sein. Denn auch in Kundus sollen die Soldaten ähnlich wie in Kabul ein Klima der Sicherheit schaffen, während die Helferinnen und Helfer den Wiederaufbau unterstützen. Die Kritik bezieht sich auf die schon existierenden regionalen Wiederaufbauteams der USA. Dort geben die Militärs den Ton an und die Helfer müssen sich unterordnen. Unser Konzept ist völlig anders.

Können denn 250 Soldaten eine so große Region überhaupt sichern?

Der Einsatz muss als Signal gesehen werden. Im Übrigen haben sich alle Gesprächspartner, die ich vergangene Woche bei meinem Besuch in Kabul getroffen habe, ausdrücklich für die deutsche Entscheidung bedankt. Dazu gehören der UN-Sondergesandte der UN, Lakhdar Brahimi, ebenso wie Präsident Karsai. Und ich wiederhole: Andere Nationen sind aufgefordert, nach der Ausweitung des Isaf-Mandats Soldaten auch in anderen Regionen zu stationieren .

Welche Projekte sind in Kundus geplant?

Außer der Trinkwasserversorgung sind die ländliche Entwicklung, Straßenbau und auch der Aufbau der Polizei mögliche Einsatzfelder.

In der Region werden auch Drogen angebaut und gehandelt. Werden die deutschen Soldaten dagegen vorgehen?

Deutschland hilft der afghanischen Regierung schon jetzt beim Aufbau einer Drogenbekämpfungseinheit und auch bei der Ausbildung von Grenzpolizei, um den Drogenschmuggel zu verhindern. Darüber hinaus haben wir auch entwicklungspolitische Ansätze, den Drogenanbau langfristig zu bekämpfen. Hier geht es vor allem darum, alternative Einkommensquellen für die Bauern zu schaffen.

Wie gefährlich ist die Drogenmafia für die deutschen Soldaten?

Nach Analyse aller Fakten halten wir den Einsatz in Kundus für verantwortbar. Sie können mir glauben, dass wir sehr gewissenhaft entschieden haben.

Im Oktober sollte eine zweite Loya Dschirga über eine neue Verfassung abstimmen. Wie man hört, soll dies verschoben werden. Läuft der Demokratisierungsprozess aus dem Ruder?

Es gibt rückwärtsgewandte Kräfte, für die die Benachteiligung von Frauen zum politischen Konzept gehört. Es gibt aber auch Geistliche, die in einer Erklärung darauf hingewiesen haben, dass der Islam Frauen als gleichberechtigt betrachtet. Auch das ist Teil des gesellschaftlichen Prozesses. Die internationale Gemeinschaft beeinflusst diesen Prozess, und ich habe bei meiner Reise in der vergangenen Woche mit allen Verantwortlichen über die Gleichberechtigung der Frauen gesprochen.

Wie weit geht die Einflussnahme? Drohen Sie auch mit dem Entzug der Hilfe?

Als Entwicklungspolitikerin halte ich mehr davon, zu fördern. Mit dem Entzug der Unterstützung würde man ja das Scheitern befördern.

Sind wir nicht schon gescheitert?

Ganz und gar nicht. Nicht zuletzt die Präsenz der Isaf in Kabul trägt dazu bei, dass sich das Leben dort normalisiert. Es gibt noch immer Gewalt, doch seit ich die Stadt im Dezember 2001 zum ersten Mal besucht habe, hat es eindeutige Fortschritte gegeben. Die Wirtschaft wird in diesem Jahr um 30 Prozent wachsen. Gemeinsam mit Präsident Karsai habe ich gerade erst eine Investitionsagentur eröffnet, die vor allem kleine und mittlere Unternehmen berät. Frauen können heute wieder am öffentlichen Leben teilnehmen, eine Ausbildung absolvieren, studieren und auch Gesundheitszentren und Krankenhäuser aufsuchen. Die deutsche Hilfe hat diese Veränderungen mit ermöglicht. Auch die Ausbildung von Polizistinnen wird von uns unterstützt. Das ist ein ganz wichtiges Projekt, denn leider gibt es noch immer Übergriffe gegen Frauen.

Und außerhalb Kabuls herrscht Mittelalter.

Auch in den Provinzen wird Aufbauarbeit geleistet. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit etwa ist in zehn Provinzen des Landes präsent. Bei der Zusammenarbeit zwischen der Zentralregierung und den Machthabern in den Provinzen gibt es ebenfalls Fortschritte. Der Finanzminister konnte beispielsweise durchsetzen, dass die Provinzen künftig die von ihnen eingenommenen Zölle in den nationalen Haushalt abführen müssen.

Eine Rückkehr der Taliban fürchten Sie nicht?

Im Grenzgebiet zu Pakistan haben sich Al Qaida und Taliban neu formiert. Sie müssen bekämpft werden, was im Rahmen von „Enduring Freedom“ auch geschieht. Umso wichtiger ist es, die Erfolge, die in Kabul und einigen anderen Orten sichtbar werden,weiter ins Land zu tragen. Deshalb wollen wir ja erreichen, dass das Mandat der Isaf-Schutztruppe auf ganz Afghanistan ausgedehnt wird.

Das Gespräch führte Ulrike Scheffer.

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