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Politik: Ein Integrator

Der Ostdeutsche Lothar Bisky hat jahrelang die PDS und die Linkspartei geprägt Jetzt ist er im Alter von 71 Jahren daheim in Sachsen gestorben.

Von Matthias Meisner

Berlin - „Ich bin ein Schildbürger“, sagte Lothar Bisky erst vor ein paar Tagen am Telefon. Eigentlich sei er ja im Urlaub, daheim im nordsächsischen Schildau, erklärte er. Aber dann kommentierte er doch den Vorwurf von Peer Steinbrück, der Angela Merkels fehlende Leidenschaft für Europa auf deren DDR-Sozialisation geschoben hatte. „Einfach blödsinnig.“ Punkt. Aber ist Bisky wirklich ein Schildbürger gewesen, bloß weil er den Politikbetrieb nie so ganz ernst nahm? Oder stellte er sich manchmal einfach nur, wie ein Schildbürger, dümmer als er wirklich war?

Vier Tage vor seinem 72. Geburtstag ist Lothar Bisky, langjähriger Vorsitzender von PDS und Linkspartei, am Dienstag gestorben. Sein langjähriger Mitstreiter Gregor Gysi stand gerade auf einer Wahlkampfbühne im thüringischen Ilmenau, für ihn kam die Nachricht genauso plötzlich und überraschend wie wohl für fast alle seine Parteifreunde. Die Familie von Bisky bat Gysi, den Tod bekanntzumachen: „Tief traurig“ sei er, das waren die ersten Worte des Linken-Fraktionsvorsitzenden. Die Hintergründe blieben zunächst unklar. Genossen wussten, dass Bisky „nicht der Gesündeste“ war. Aber er litt, soweit bekannt, auch nicht an einer unheilbaren Krankheit. Von einem Unfall war in der Partei die Rede, genauere Informationen gab es nicht.

Bisky wird fehlen, obwohl er zuletzt selbst immer öfter fehlte. Den Rückzug auf Raten hatte er selbst gewählt, 2010 nicht mehr für den Vorsitz der Linken kandidiert. Spöttisch sagte er in seiner Abschiedsrede: „Manche Entwicklungswidersprüche können wir mit quotierten Doppelspitzen doppelt gut bearbeiten.“ Nachfolger von ihm und Oskar Lafontaine wurden die Ost-Frau Gesine Lötzsch und der West-Mann Klaus Ernst. Bisky war gegangen, als es der Linkspartei noch richtig gut ging. Zunächst noch blieb er noch eine Weile Fraktionschef der Linken im Europaparlament. Im März vergangenen Jahres verzichtete er auch auf dieses Amt, war fortan nur noch einfacher Abgeordneter im Straßburger Parlament, Mitglied des Kulturausschusses. Er sagte damals: „Ich selbst bin mit meinen 70 Jahren in einem Lebensalter, in dem ich nicht mehr die Zukunft verkörpere.“ Auch damals gab er gesundheitliche Gründe an.

Die Wende hatte Bisky in die Politik gespült, erst Abgeordneter im brandenburgischen Landtag. Dann war er, nach Gysi, der zweite Chef der PDS. 1993 hatte der frühere Rektor der Potsdamer Filmhochschule das Amt zum ersten Mal übernommen, den Kampf geführt unter anderem gegen die Kommunisten in der Partei, darunter die heutige Vizevorsitzende Sahra Wagenknecht. Der Streit unter Genossen setze ihm immer mehr zu, 1999 schmiss er hin, die „finale Mülltonne“ sei voll, so erklärte er. Aber er ließ sich wieder anstecken. 2003 übernahm er den Vorsitz erneut, obwohl bei ihm die Gier zur Macht stets viel weniger ausgeprägt war als bei anderen Politikern. Als Integrator steuerte er von 2005 an die Fusionsverhandlungen zwischen PDS und der WASG. Dass dieses Bündnis, das formell zwei Jahre später geschmiedet wurde, gelang, ist maßgeblich sein Verdienst. Von 2007 an führte Bisky die neue Linkspartei gemeinsam mit dem ehemaligen SPD-Chef Oskar Lafontaine, drei Jahre lang. Bisky las die Parteitagsreden vom Blatt ab, Lafontaine war der wortgewaltige Rhetoriker. Beide hatten Anteil an dem wohl größten Erfolg: 11,9 Prozent für die Linke bei der Bundestagswahl 2009. Nicht nur einmal verteidigte Bisky den prominenten Genossen Lafontaine gegen „Dreckschleuderei“. Sein Verhältnis zu Lafontaine – und auch zu Gysi – zerbrach, als der Saarländer die Absetzung des langjährigen Bundesgeschäftsführers Dietmar Bartsch durchsetzte.

Zwei Tiefpunkte in seinem Leben, nur beispielhaft: 2008 starb sein Sohn Stephan, nur 23 Jahre alt. 2005 scheiterte seine Bewerbung um das Amt des Vizepräsidenten im Bundestag. Zum Trost schaute sich der Politiker anschließend Filme von Stanley Kubrick an. „Man schwebt. Man merkt, wie wenig man eigentlich ist“, sagte er damals.

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