zum Hauptinhalt
194200_3_080901_kreuth_ossenbrink.JPG

© Frank Ossenbrink

Ein Jahr nach Stoiber: Kreuther Geist - wo steht die CSU?

Heute beendet die CSU ihre traditionelle Klausur im Wildbad Kreuth. Die neuen Herren der Partei stehen ein Jahr nach dem Stoiber-Sturz noch immer im Schatten - in dem ihres Vorgängers und in ihrem eigenen.

Die kleinen Tricks beherrscht er immer noch. Zum Beispiel wäre es überhaupt kein Problem gewesen, den Dienstwagen bis zum Haupteingang des Tagungshauses im Wildbad Kreuth vorfahren zu lassen. Aber der massige Audi hält vor der Tür zum Pressezentrum. Edmund Stoiber muss infolgedessen ein genügendes Stück Wegs zu Fuß den Berg hinaufschlendern, dass die Presseleute mit ihren Kameras Zeit haben, ihn einzukesseln wie in alten Tagen. Etwas später wird er versichern, er wolle ja nicht, dass er im Mittelpunkt stehe, sondern „die CSU muss im Mittelpunkt stehen“. Das ist eine halbe Schwindelei, aber es ist andererseits die ganze Wahrheit. Jedenfalls, was Edmund Stoiber angeht. Ansonsten freilich ist die Frage, wo sich der Mittelpunkt der CSU gerade befindet, gar nicht so einfach zu beantworten.

Immerhin, so viel lässt sich schon mal sagen: Das Interesse an Stoiber ist nur noch ein historisches. Wie es ihm denn so gehe, hat auch gleich einer gefragt, jetzt und hier? Stoiber tut ahnungslos. „Gut, äh, warum?“ Er weiß genau, warum. Hier im Wildbad Kreuth, bei der Tagung der CSU-Landesgruppe, vor der romantisch verschneiten Kulisse der Tegernseer Blauberge, hat er sich vor einem Jahr endgültig um Kopf und Kragen und die Macht geredet. Eine listige Frage in einer Pressekonferenz – ob er denn nach einem Wahlsieg bei der Landtagswahl 2008 die ganze Wahlperiode hindurch regieren wolle? Eine flapsig-unbedachte Antwort: Er mache keine halben Sachen. Das bayernweite Aufstöhnen hat ihn sturmreif gemacht. Stoiber bis 2013? Bitte, nein, bloß das nicht mehr! Was dann folgte, war, wie sich im Nachhinein deutlich zeigt, mehr als ein Machtwechsel. Es war das vorläufige Ende der Selfmade-Weltmacht Bayern.

Man kann diese Veränderung derzeit im ganzen Land sehen. Dort fängt nämlich der Wahlkampf für die Kommunalwahl im März an, und dafür hat die CSU ein Plakat verfertigt, das ihre beiden Frontmänner traulich vereint zeigt. Der Kerl, der das Doppelporträt geschossen hat, ist entweder ein Schurke oder ein Genie. Vorne der Parteivorsitzende Erwin Huber mit leicht verrutschtem Lächeln, halb hinter ihm der Ministerpräsident Günther Beckstein mit zugekniffenem Schmunzeln; beide schauen sie nach rechts in eine Ferne, aus der von irgendwoher ein Licht kommt.

So ähnlich ist Stoiber früher auch plakatiert worden. Aber der hat dabei immer ausgeschaut wie ein jüngerer Luis Trenker, der visionären Blicks an der nächsten Eigernordwand Maß nimmt, sie zu erstürmen. Das aktuelle Duo erinnert mehr an zwei freundliche Hobbits, jene Romanhelden wider Willen aus dem „Herr der Ringe“, die viel lieber in ihren gemütlichen Häuslein harmlos ein Pfeifchen rauchen würden, als umständehalber die Welt zu retten. „Gemeinsam für Bayern“ steht auf dem Plakat. Besser passen würde zum Motiv ein „Habt uns bitte möglichst lieb!“

Der Eindruck ist übrigens zum Teil beabsichtigt. Beckstein und Huber haben ihrem früheren Chef lange genug zugesehen. Sie wissen, dass sie für die Rolle des Super-Ede nicht taugen, schon weil ein Wort wie „exzellent“ aus niederbayerischem und fränkischem Mund einfach nicht superlativ klingen will. Beckstein hat sein Gegenmuster gefunden: Der Franke ist einfach er selbst, ein schlitzohriger Landesvater mit einem gelegentlichen Hang zur Selbstironie auf offener Bierzeltbühne. Da lässt er sich schon mal den Gamshut aufsetzen und dirigiert mit beseeltem Lächeln die Blaskapelle. Die Szene wäre mit Stoiber unvorstellbar gewesen, schon weil dessen Entourage sie als gänzlich unpassend für den Regenten verhindert hätte.

Dass Beckstein sich in seiner Volkstümlichkeit allzu sehr gefallen könnte, ist freilich auch das Erste, was wichtigen CSU-Leuten einfällt, wenn sie über persönliche Defizite des neuen Manns in der Staatskanzlei nachdenken. Volkstümlichkeit sei gut, sagt einer, aber vorweisbare Erfolge müssten folgen. Der Günther müsse aufpassen, sagt ein anderer, „dass er sich nicht zu sehr zum Kasper macht“. Diese Gefahr wird freilich eher als gering einschätzen, wer Beckstein gehört hat, wie er in seiner Neujahrsansprache das Wohlfühlland Bayern beschwört und den hohen Wert des ehrenamtlichen Engagements seiner Bürger lobt.

Was den zweiten Teil des Duos vom Plakat angeht, ist die Sache schon etwas schwieriger. Am Montag hängen trübe Regenwolken überm Kreuther Tal. Wirtschaftsminister Michael Glos steht im tauenden Schnee, wartet auf ein Fernsehinterview und witzelt: „Der Huber kommt gleich, da muss die Sonne scheinen.“ Die Sonne wird sich aber Zeit lassen, bis später der Stoiber kommt – da erst reißt die Wolkendecke auf und zeigt ein Stückchen bayerisches Blau-Weiß. Man muss beides nicht so wichtig nehmen, weil Glos mit Huber in Wahrheit ganz ausgezeichnet kann und weil der Himmel in Kreuth schon lang keine zuverlässigen Zeichen mehr sendet. Als Stoiber vor einem Jahr stürzte, war zwischendurch auch strahlendes Kurprospekt-Wetter. Aber andererseits – vielleicht heißt es doch etwas?

Huber jedenfalls kommt, und der Bundestagslandesgruppenchef Peter Ramsauer empfängt ihn, und als Erstes sagt Ramsauer, dass er jetzt ein Geheimnis lüfte: „Morgen ist Erwin Huber 100 Tage im Amt.“ Das ist witzig-nett gemeint, enthält aber eine tiefere Wahrheit. So richtig aufgefallen ist die Tatsache, dass die CSU einen neuen Parteichef hat, im Rest der Republik noch nicht. Nicht, dass Huber sich in Bayern verstecken würde. Im Gegenteil, der Neue ist so regelmäßig in Berlin und kümmert sich so planmäßig um gute Kontakte zur dortigen Politik und Presse, dass neulich ein Wohlmeinender den Ramsauer gewarnt hat, er müsse aufpassen, dass ihm der Chef nicht den Schneid abkauft, noch bevor der – bekanntlich nach 2009 – nach Berlin kommen will. Ganz frei von einer gewissen gespannten Konkurrenz ist das Verhältnis zwischen den beiden in der Tat nicht. Man erkennt es daran, dass Huber sagt, er müsse „ganz deutlich“ sagen, dass er und Ramsauer einen „sehr guten und engen Kontakt“ hätten. So was muss man ja nur betonen, wenn es mal betont werden muss.

Hinter diesen Reibereien steht die Frage nach dem bundespolitischen Profil. Nach wie vor gilt als Grundsatz: Dass die CSU im Bund ein Wort mitredet, ist eine Legitimation für die absolute Mehrheit daheim. Stoibers Profil war deutlich sichtbar, erstens, weil er Regierungs- und Parteichef in einem, zweitens, weil er Stoiber war. Huber gibt zwar auch Interviews. Sie bleiben aber häufig unbeachtet. Von der alten CSU-Tradition, dass man sich allemal gegen die da in Berlin profiliert – und vorzugsweise gegen die große Schwester CDU – ist kaum etwas zu spüren.

Das liegt auch am bayerischen Wahlkalender. Aber es liegt ein bisschen auch daran, dass dieser Erwin Huber, der sich aus dem Einödhof im Bayerischen Wald hochgearbeitet hat, ein höchst effektiver Fachmann ist. Im Kanzleramt jedenfalls freuen sie sich immer noch, dass sie für Telefonate mit München nicht mehr eine Stunde und mehr im Terminkalender frei halten müssen, sondern nur noch zehn Minuten. Huber weiß, was er will – und zwar vorher. Deshalb weiß Angela Merkel auch, was Huber will. Die Kanzlerin, versichert ein Kenner der Verhältnisse, berücksichtige die Anliegen der Bayern in Koalitionsstreitereien schon ganz von selbst. Das erspart viele öffentliche Raufereien. Es beschneidet Huber freilich auch in der Chance, durch siegreich bestandenes Raufen Profil zu gewinnen.

Es gibt zwei schöne Beispiele für dieses Problem. Sie stammen von Huber selbst. In Kreuth hat ihn jemand gefragt, er möge doch mal auf Anhieb zwei bundespolitische Erfolge nennen. Dass die CDU die CSU-Forderung nach Betreuungsgeld in ihr Programm aufgenommen hat, zählt Huber sofort auf, und die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent. Beides stimmt. Aber wer – außer Huber und Ramsauer – schreibt sie schon aufs Konto der CSU?

Noch ist das egal. Der Kampfwert des Duos Beckstein/Huber für die nächsten Jahre entscheidet sich nicht in Scharmützeln, sondern in Schlachten. Die Kommunalwahl im März ist die erste, im Herbst die Landtagswahl die zweite. Die CSU, sagt ein guter Kenner, sei „gnadenlos ergebnisorientiert“. Sind die Ergebnisse gut, „dann ist gut“. Fallen sie weniger gut aus, würden in der CSU ganz schnell Fragen nach Performance und Konstellationen der Führung gestellt. Fragen vielleicht auch danach, ob es richtig war, Edmunds Super-Bayern in ein gemütliches Auenland umzudeuten, das von freundlichen Hobbits beherrscht wird.

Durchaus möglich, dass sich Bayern auch in diesem Bild erkennt. Die Umfragen sind anhaltend günstig – sicher auch Reflex eines verbreiteten Aufatmens nach dem turbulenten letzten Jahr des Edmund Stoiber. Beckstein jedenfalls findet im Nachhinein, dass es ganz richtig war, dass er und Huber den Alten vor einem Jahr weggeputscht haben. „Eine schwierige und eigentlich auch gefährliche Operation“ sei das gewesen, sagt der Regierungschef, aber doch „überragend gut gelungen“ dank der Mithilfe der ganzen CSU. Ganz widersprechen mag dem nicht mal das Opfer. Stoiber hat der Tagung der Landesgruppe zugehört, ohne sich einzumischen – ein Ehrenvorsitzender, der Präsenz zeigt, aber nicht den Besserwisser gibt. Nur draußen vor den Kameras hat er noch mal klargestellt, wer der Koch des CSU-Erfolgs war und wer hier nur die fertige Suppe aufträgt. Was er seinen Nachfolgern hinterlassen habe, sagt Stoiber, sei doch alles aufgegangen: „Ich seh’ sehr, sehr viel Kontinuität.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false