zum Hauptinhalt

Politik: Ein Krieg sucht seine Begründung

In den USA schwindet der Rückhalt für einen Irak-Feldzug – aber kritisch ist Bushs Lage noch lange nicht

Von Malte Lehming, Washington

Er eiert herum. Die Klarheit und Konsistenz, die dem amerikanischen Präsidenten in seiner Außenpolitik nach dem 11. September bescheinigt wurde, scheint ihm abhanden gekommen zu sein. Und in der Tat: Die Bilanz der „Operation dauerhafte Freiheit“ sieht eher bescheiden aus. Osama bin Laden sowie fast die gesamte Führungsspitze von Al Qaida sind höchstwahrscheinlich entkommen. Die politische Situation in Afghanistan bleibt auf lange Zeit instabil. Der Wiederaufbau des Landes geht nur schleppend voran.

Auch im Nahen Osten sind die Visionen, die George W. Bush zweimal zu formulieren versuchte, ohne Reaktion verhallt. Bush, so wird gefrotzelt, habe ein Licht am Ende des Tunnels entzünden wollen, aber vergessen, dass es nicht einmal einen Tunnel gibt. Derweil nehmen die transatlantischen Spannungen, von der Kyotoer Klimaschutzvereinbarung bis zum Strafgerichtshof, weiter zu. Und die Wirtschaft Amerikas ist noch immer nicht wieder in Schwung gekommen.

Besonders widersprüchlich aber sind die Signale, die die US-Administration zum internationalen Dauerreizthema Irak aussendet. Da wird einmal die „Achse des Bösen“ verdammt und rasches Handeln angedeutet – „wir werden nicht tatenlos zusehen, bis...“ Ein anderes Mal wird beschwichtigt. Der Präsident habe nichts entschieden, es liege kein Plan auf seinem Tisch, und außerdem sei er ein sehr geduldiger Mann. Wer soll das verstehen?

Kein Wunder, dass die Öffentlichkeit verwirrt ist. Selbst in Amerika nimmt daher der Rückhalt für einen militärischen Feldzug gegen den irakischen Präsidenten Saddam Hussein kontinuierlich ab. Die jüngsten Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Gallup sprechen eine deutliche Sprache. Zwar befürworten weiterhin mehr als die Hälfte aller US-Bürger den gewaltsamen Sturz Husseins, aber es sind bloß noch 53 Prozent. Im Juni waren es 61 Prozent, in den Wochen nach dem 11. September gar 74 Prozent. Auch die Beliebtheit von Bush geht zurück. Heute mögen 65 Prozent der Amerikaner ihren Staatschef, im Juli waren es noch 71 Prozent, vor zwei Monaten 76 Prozent.

Der Schlingerkurs in der Irak-Frage ermuntert die Kritiker. Sogar prominente Parteifreunde des Präsidenten haben sich in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet und von einem Waffengang abgeraten. Bis heute jedenfalls ist es Bush nicht gelungen, den überzeugenden Grund für einen solchen Krieg zu nennen. Ist er notwendig, weil Saddam böse ist? Wenn die Amerikaner alle bösen Staatschefs dieser Welt stürzen wollten, hätten sie viel zu tun. Ist er notwendig, weil Saddam mit Terroristen zusammenarbeitet? Eine enge Verbindung zwischen dem 11. September und dem Despoten von Bagdad lässt sich nicht belegen. Ist er notwendig, um den gesamten Nahen Osten zu demokratisieren? Das wäre zu idealistisch, um glaubhaft zu sein.

Ein Argumentationsvakuum ist entstanden. Ein Krieg sucht nach seiner Begründung. Das ist ungewöhnlich. In der Kuba-Krise von 1962 konnten Fotos von einem Spionageflugzeug vorgelegt werden, die das Raketen-Engagement der Russen auf Kuba unwiderlegbar dokumentierten. Vor dem Afghanistan-Krieg war es der britische Premierminister Tony Blair, der öffentlich die Verstrickung von Osama bin Laden und den Taliban in die Terroranschläge nachwies. Im Falle des Irak fehlt bislang ein solcher Casus belli.

Das freilich könnte sich bald wieder ändern. Der Jahrestag des 11. September naht. Das bedeutet in Amerika eine Revitalisierung des allgemeinen Bedrohungsgefühls und des Patriotismus. Bush könnte in Versuchung geraten, diese Stimmung für sich auszunutzen. Außerdem ist unklar, ob die andauernde Irak-Diskussion dem Präsidenten nicht sogar nützt. Denn die Irak-Debatte lenkt vom Zustand der Wirtschaft ab.

Anfang November sind Kongresswahlen. Wenn bis dahin die Themen Krieg, Terrorismus und Patriotismus die Agenda beherrschen, profitieren davon die Republikaner. Kein Demokrat kann es sich leisten, gegen den Krieg zu wettern, ohne sich automatisch dem Vorwurf auszusetzen, er bagatellisiere die Gefahren des Terrorismus. Das bringt die Demokraten in ein Dilemma. Einerseits fordern sie eine breite öffentliche Diskussion über den Irak, andererseits geraten ihre Themen dadurch in den Hintergrund. Bush ist im Stimmungstief. Aber kritisch ist seine Lage noch längst nicht.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false