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Politik: Ein Kriegsverbrecher als Premier?

Gegen neuen Regierungschef im Kosovo werden schwere Vorwürfe erhoben – Krisentreffen in Belgrad

Die Auskunft der UN-Chefanklägerin lässt alle Möglichkeiten offen. „Wir werden sehen“, sagte Carla del Ponte im bosnischen Sarajevo auf die Frage, ob sie bis Ende des Jahres Anklage gegen Ramush Haradinaj erheben werde. Der am Freitag zum neuen Premierminister des Kosovo ernannte Haradinaj war bereits vor einem Monat von Mitarbeitern des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag zweimal zu seiner Rolle während des Kosovokonflikts befragt worden.

Der 36-jährige Chef der Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) soll im Sommer 1998 an der Ermordung von 42 kosovo-serbischen Zivilisten im Westen des UN-Protektorats beteiligt gewesen sein. Westliche Diplomaten in Pristina und Skopje sprechen von Waffenhandel und Schutzgelderpressung. Haradinajs Bruder war wegen der Ermordung von als „Kollaborateuren“ mit der serbischen Verwaltung denunzierten Kosovo-Albanern zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.

Die gesamte Staats- und Regierungsspitze der Republik Serbien reagierte in Belgrad am Samstag mit einer Sondersitzung auf die Ernennung des neuen Regierungschefs im Kosovo. Nach dem Krisentreffen verlangte der serbische Ministerpräsident Vojislav Kostunica, dass der UN-Kosovo-Verwalter Sören Jessen-Petersen die Wahl Haradinajs rückgängig machen müsse. Zuvor hatte Kostunica kritisiert, dass der neue Regierungschef „einen kriminellen Hintergrund in Kriegs- wie in Friedenszeiten“ habe.

Doch nicht nur in der Beziehung zu Serbien, auch was das Kosovo selbst betrifft, birgt die Ernennung Haradinaj Sprengstoff. So könnte eine Anklage gegen den früheren Kommandeur der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) in Den Haag eine neue Welle von Gewalt in der Krisenprovinz auslösen, die sich noch stärker als im Frühjahr gegen die Verwaltung der Vereinten Nationen richten dürfte. Der Brüsseler Außenpolitikbeauftragte Javier Solana hatte schon vor Wochen kritisiert, dass „ein Premier, der Kriegsverbrechen verdächtigt wird, nicht unbedingt die geeignetste Person ist“, um an der Umsetzung demokratischer und menschenrechtlicher Standards mitzuwirken. Dies gilt als Voraussetzung für Verhandlungen über eine mögliche Unabhängigkeit von Serbien-Montenegro.

Der Boykott der konstituierenden Parlamentssitzung in Pristina durch die von Ex-UCK-Chef Hashim Thaci geführte Demokratische Partei des Kosovo (PDK) zeigt, dass sich die Lage erneut zuspitzen kann. So werden Anhänger Thacis, der auf den Posten des Premiers spekuliert hatte, hinter den Pogromen im vergangenen März vermutet, bei denen 21 Menschen starben und Tausende vertrieben wurden.

Markus Bickel[Sarajevo]

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