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Politik: Ein Land, drei Flaggen

Schiiten, Sunniten und Kurden schwören auf unterschiedliche Fahnen – ein Zeichen des Zerfalls des Irak

Vor Regierungsgebäuden und bei Schiiten weht die neue irakische Flagge: „Gott ist groß“ steht in grüner kufischer Schrift auf dem weißen Streifen in der Mitte. Die sunnitische Minderheit benutzt häufig noch die alte Flagge, die unter Saddam Hussein eingeführt wurde und zusätzlich drei Sterne enthält. Die irakischen Kurden, die im Norden relativ autonom drei Provinzen verwalten, haben wiederum eine eigene Flagge, auf der statt Sternen und Schriftzug ein großer gelber Stern prangt. Die Flaggenvielfalt zeugt vom Zerfall des Irak, dessen drei große Bevölkerungsgruppen sich seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein teilweise gegenseitig bekriegen.

Der Zerfall wird auch in der Hauptstadt Bagdad deutlich, wo es kaum noch gemischte Stadtviertel gibt: Vor allem Sunniten wurden von den schiitischen Milizen und schiitisch dominierten Sicherheitskräften massenweise vertrieben – aber auch Schiiten aus mehrheitlich sunnitischen Stadtteilen. Diese ethnisch gesäuberten Gebiete sind teilweise von hohen Betonmauern umgeben. Wenn die Gewalt in Bagdad zurückgegangen ist, dann liegt das auch daran, dass sich Sunniten und Schiiten in ihren jeweiligen Stadtteilen kaum noch begegnen. Daran wird auch die Konferenz der nationalen Versöhnung nichts ändern, die Premier Nuri al Maliki pünktlich zum Jahrestag der amerikanisch-britischen Invasion in dieser Woche organisiert hat. Sunnitische Vertreter blieben aus Protest fern, weil trotz jahrelanger Verhandlungen viele ihrer politischen Forderungen nicht erfüllt wurden.

Selbst das neue Gesetz zum Umgang mit ehemaligen Mitgliedern der Baath- Partei von Ex-Präsident Saddam Hussein, das im Januar nach jahrelangem Tauziehen verabschiedet wurde, hat wenig Wirkung gezeigt. Obwohl es eigentlich der Wiedereingliederung vieler Sunniten und Ex-Baathisten in den Staatsdienst dienen sollte, lehnten deren Vertreter im Parlament das Gesetz ab: Zwar stellt es eine Verbesserung dar, indem mittelrangige Ex-Baathisten in ihre Jobs im öffentlichen Dienst zurückkehren können oder zumindest Anrecht auf eine Rente bekommen. Deren Zahl wird auf etwa 30 000 geschätzt. Andererseits werden selbst einfache Ex-Mitglieder der Baath-Partei von Ämtern in wichtigen Verwaltungen wie Justiz, Verteidigung sowie Innen- und Außenministerium ferngehalten. Vage Paragrafen öffnen zudem dem willkürlichen Ausschluss unliebsamer Gegner aus dem politischen Leben Tür und Tor, fürchten Kritiker. Das Gesetz bleibe ein „Schwert über dem Haupt der Menschen“, beschreibt der sunnitische Politiker Khalaf Olian das Gesetz, das ein Meilenstein der Versöhnung sein sollte.

Auch die Anfang dieser Woche veröffentlichte Umfrage der Fernsehsender BBC, ABC, ARD und NHK belegt die unterschiedlichen Befindlichkeiten von Sunniten, Schiiten und Kurden. Insgesamt sind zwar 55 Prozent der etwa 2000 befragten Iraker mit ihrem Leben zufrieden. Doch aufgeschlüsselt nach Bevölkerungsgruppen sind dies bei den Sunniten nur 31 Prozent, bei den Schiiten 62 und bei den Kurden, die weitgehend autonom in den drei nördlichen Provinzen leben, sogar 73 Prozent. Und die sunnitische Minderheit fühlt sich fünf Jahre nach dem Verlust der Macht weiterhin ausgeschlossen und steht dem neuen Staatswesen skeptisch bis feindlich gegenüber.

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